Philosophie des Lebendigen

 Eine Vorlesung an der Jesuitenhochschule in Frankfurt a.M.
im Wintersemester 2022/23


Prof. Dr. Hans-Dieter Mutschler

 

Philosophie des Lebendigen

 

Inhalt

Kapitel 1: Der Grundgedanke

  • Aristotelismus
  • Kausalanalyse
  • Der Dualismus
  • Die Konsequenz

Kapitel 2: Naturalismus und Naturphilosophie

  • Allgemeine Begriffsbestimmungen
  • Jürgen Habermas

Kapitel 3: Ist die Biologie abgeschlossen?

  • Was ist Leben?
  • Der Begriff der ‘Funktion’
  • Die Biologie: ein Flickenteppich
  • Der ontologische Bruch

Kapitel 4: Der Vitalismus

  • Neovitalismus
  • Intelligent Design

Kapitel 5: Supervenienz

  • Schwache und starke Supervenienz
  • Supervenienz und Emergenz

Kapitel 6: Moral und Natur

  • Die Naturalisierung der Moral
  • Die Illusion einer guten Natur 
  • Natur im Lichte der Moral

Kapitel 7: Die Transzendentalien

  • Kategorien und Transzendentalien
  • Der Zugang zum Ganzen
  • Das Wahre
  • Das Gute
  • Das Schöne
  • Warum Transzendentalien wichtig sind

Kapitel 8: Theologie

  • Die natürliche Theologie 
  • Die Theologie der Natur

Literatur

 

Fußnoten

 

 

Kapitel 1: Der Grundgedanke

Der Grundgedanke dieser Vorlesung ist in Kürze das Folgende, wobei wir uns der starken Stilisierung bewusst sind, die deshalb immer nur in erster Näherung gilt.

 

Aristotelismus                

Die Aristotelische Naturphilosophie ist strukturiert nach Art einer vertikalen Hierarchie, auch ‘scala naturae’ genannt. In aufsteigender Reihenfolge: Elemente, Pflanzen, Tier, Mensch. Alles Naturseiende ist hier in verschiedenem Masse entelechial bestimmt, hat also seinen Zweck in sich selbst, während das Technische den Zweck ausserhalb seiner selbst hat, nämlich im Ingenieur oder Handwerker. Der Mensch ist in diese ‘scala naturae’ eingelassen als integraler Bestandteil, will besagen, er ist zugleich Teil der entelechial bestimmten Natur und transzendiert sie dennoch, aber nicht im Sinn des modernen Dualismus, eher so, wie ein guter Reiter eins ist mit seinem Pferd, aber dennoch klar unterschieden von ihm.

 

Obwohl der Aristotelische Neothomismus in der katholischen Kirche herrschend war bis in die Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil, ist er inzwischen zusammengebrochen, aus Gründen, die leicht erkennbar sind: Zum Einen kannte der Thomismus keine Naturgesetze im Sinn der Moderne, sondern nur final bestimmte Verkettungen, zum Anderen hatte er keinen Begriff von ‘Geschichtlichkeit’, was aber nicht Inhalt dieser Vorlesung ist.[1]

 

Eine Natur, die durch und durch final bestimmt ist, als ein universaler Sinnzusammenhang, der eine vertikale Hierarchie konstituiert, führt ganz natürlich auf den Gedanken einer höchsten Vollkommenheit, weshalb es bei Thomas von Aquin einen Gottesbeweis aus den Vollkommenheitsstufen der Natur gab. Wenn man so will, war bei Thomas die ‘Kirche noch im Dorf’. Das änderte sich jedoch radikal in der Neuzeit.

 

Kausalanalyse

Galilei fegte die gesamte Maschinerie der Aristoteliker beiseite mit ihren substanziellen Wesensformen, ihrer scala naturae, ihren Finalursachen, ihren Übergängen von der Möglichkeit in die Wirklichkeit usw. und ersetzte all dies durch experimentell überprüfbare Grössen, Zeit, Raum, Masse, Geschwindigkeit und so fort, Grössen die man messen und jederzeit reproduzieren und mathematisch ableiten konnte. In seinen «Dialogen» macht er sich über die Aristoteliker lustig wie über tumbe Toren, die von nichts eine Ahnung hatten.[2] Er schoss dabei weit übers Ziel hinaus, aber auf eine geschichtsmächtige Weise. Seither ist der Physikalismus die herrschende Ideologie des Zeitalters, vor allem, weil die Physik von Sieg zu Sieg eilte. Nichts konnte sie aufhalten.

 

Dabei ging auch etwas verloren, denn trivialerweise hat in dieser Welt alles seinen Preis. Wenn wir die Natur in ein mechanisches Rechenexempel verwandeln, bleiben wir selbst aussen vor, denn wir selbst finden als Menschen in den geschlossenen Kausalketten der Physik keinen Platz mehr, die wir uns horizontal gespannt vorstellen, so dass die Vertikale verloren geht. In einer rein horizontal bestimmten Weltauffassung werden wir entweder selbst zum willenlosen Spielball der Elemente oder wir entfremden uns der Natur wie einem gleichgültigen Uhrwerk, das uns weiter nichts angeht.[3]

 

Der Dualismus

Der Dualismus hat heute eine sehr schlechte Presse und wer ihn immer noch vertritt, wie der Philosoph Uwe Meixner, hat sich damit ins Abseits manövriert.[4] Aber der Dualismus beinhaltet ein Wahrheitsmoment, das es zu berücksichtigen gilt. Ihm liegt die Einsicht zugrunde, dass wir nicht an den Naturwissenschaften vorbeiphilosophieren dürfen, dass aber der Mensch in ihnen nicht aufgeht, weil er emergente, ganz neue, Eigenschaften gegenüber dem Naturzusammenhang hat. Aus diesem Grunde gibt es den Dualismus seit Jahrhunderten in ganz verschiedenen Formen. Beginnend mit Descartes reicht er über Kant bis in unsere Tage bei Davidson, Habermas und eben bei Uwe Meixner oder bei David Chalmers. Verschieden, wie diese Philosophen auch sind, sie alle eint das Bestreben, dem Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, gegenüber seiner Verdinglichung durch Wissenschaft und Technik. Aber der Preis für diese Position ist wiederum sehr hoch.

 

Jeder von uns fühlt sich als eine psychosomatische Einheit, nicht als nachträgliche Addition eines seelenlosen Leibes und einer leibfreien Seele. Diese substanzielle Einheit bezeichneten die Scholastiker mit dem Axiom «anima forma corporis», wobei die Form für das Geistige im Menschen stand, der Körper für das Leibliche und beide bildeten eine Einheit, inniger als der Tisch mit dem Plan eines Tisches, der ihn verwirklicht oder realisiert. Zudem haben wir die Intuition einer Einheit der Welt oder des Seins. Wir sehen es mit Grund nicht gerne, wenn man uns die Welt in zwei disjunkte Teilmengen auseinanderreisst, sei es im Sinn eines Substanzen- oder Aspektedualismus oder wie auch immer.

 

Es sollte also möglich sein, Mensch und Natur zugleich als Einheit und als Differenz zu denken. Aber wie sollte so etwas möglich sein?

 

Die Konsequenz

Alle hier kurz vorgestellten Positionen haben ihre Schwierigkeiten: Der Neothomismus, der in der katholischen Kirche fast 100 Jahre herrschend war, konnte trotz heroischer Versuche den neueren Entwicklungen nicht mehr genügen. Er hatte etwas Abgestandenes, wie die gleichzeitigen neugotischen Kirchen, die auch irgendwann einmal nicht mehr ‘gingen’, so dass heute niemand mehr neugotisch baut.

 

Der Physikalismus, der im Wiener Kreis zu Beginn des 20ten Jahrhunderts entstand und der bis Quine und Stegmüller fortgeführt wurde[5], bezahlte einen noch womöglich höheren Preis, er musste nämlich alles, was das Leben des Menschen ausmacht zur Illusion erklären: Vernunft, Freiheit, Bewusstsein, Hoffnungen, Befürchtungen, Emotionen, Gefühle, all das war nur Schein und so ist das bis heute. Für Neurowissenschaftler wie Gerhard Roth oder Wolf Singer ist der Mensch nichts als ein System feuernder Neuronen im Gehirn.[6] Das möge glauben, wer will. Demgegenüber erschien der Dualismus wie eine Art von Erlösung. Er nahm den Menschen aus dem Verdinglichungsprozess des Szientismus heraus und gab der Natur, was der Natur ist, nämlich Objekt der Naturwissenschaft zu sein.

 

Aber er manövrierte sich in eine neue Aporie hinein: Nach seiner Auffassung war der Mensch durchaus aus der Natur hervorgegangen. Dieses Hervorgehen beschrieb die Evolutionstheorie, die aber nichts von den spezifischen Eigenschaften des Menschen wusste. Wo aber kamen sie dann her? Wieso sind wir zugleich Produkte der Evolution, dann aber auch wieder nicht? Haben die Marxisten etwas Richtiges gesehen, als sie einen mechanistischen von einem dialektischen Materialismus unterschieden, wie ihn Engels in seiner «Dialektik der Natur» skizzierte und wie ihn dann Ernst Bloch im 20ten Jahrhundert weiter ausgeführt hat mit qualitativen Sprüngen, die dem entsprechen, was wir heute ‘Emergenz’ nennen?[7]

 

Dies zu zeigen, ist ebenfalls eine Herausforderung, denn es sollte uns gelingen, nicht an der Naturwissenschaft vorbei, noch auf sie beschränkt, eine rational nachvollziehbare qualitative Naturphilosophie zu entwickeln, die unserer Erfahrung in der ganzen Breite gerecht wird. Denn das ist das Kriterium, an der sich jede gute Philosophie messen sollte: Finden wir alles, was wir wissen und können in ihr wieder oder müssen wir allzu viel ausblenden?

 

Rein logisch wird sich im Endeffekt zeigen, dass es nur zwei konsistente Positionen gibt: Der konsequent durchgeführte Reduktionismus für beides, Mensch und Natur oder der konsequent durchgeführte Antireduktionismus für beide. Alle so beliebten Mischungen sind inkonsistent.

 

Kapitel 2: Naturalismus und Naturphilosophie

 

Allgemeine Begriffsbestimmungen

Der Begriff der ‘Natur’ wird heute fast ausschliesslich im Rahmen des Naturalismus diskutiert, was einer Engführung gleichkommt. Trotzdem hängen die Begriffe ‘Naturalismus’ und ‘Naturphilosophie’ eng zusammen, aber ihr Verhältnis ist verwickelt und sollte zunächst geklärt werden. Dieser Naturalismus kommt in zwei Versionen, die man seit Jürgen Habermas ‘harten’ und ‘weichen’ nennt.[8]

 

Der harte Naturalismus behauptet, dass alles auf dieser Welt allein mit Hilfe der Naturwissenschaften erklärt werden kann. Physik, Chemie, Biologie, allenfalls noch Kybernetik und Informationstheorie genügen, um selbst die ungewöhnlichsten Eigenschaften des Menschen zu erfassen.

 

Der weiche Naturalismus bestreitet dies. Danach brauchen wir, insbesondere, wenn wir den Menschen verstehen wollen, zusätzlich noch eine eigenständige Psychologie, Soziologie, Geschichtswissenschaft usw., also das, was die Angelsachsen ‘humanities’ nennen, bei uns mit einem etwas unglücklichen Ausdruck die ‘Sozialwissenschaften’.

 

Der harte Naturalismus hat ein Problem mit dem Menschen: Sind wirklich alle Eigenschaften des Menschen rein naturwissenschaftlich erklärbar?[9] Dies war das Programm der Soziobiologie, die Edward Wilson vor 40 Jahren begründet hat.[10] Hier wandte er den Darwinismus, nach Vorarbeiten von Darwin selbst, explizit auf den Menschen an, mit dem Anspruch, ihn von daher restlos zu erklären. Der Mensch sei in einem kontinuierlichen Prozess aus der Natur hervorgegangen, es gebe also keinen Bruch zwischen Tier und Mensch, es sei also nicht einzusehen, weshalb die Menschen eine Sonderstellung in der Natur für sich beanspruchten. Dieser harte Naturalismus ist unhaltbar und es gibt gründliche und scharfsinnige Widerlegungen, die vernichtend ausfallen.[11] Im Übrigen hat Wilson selbst in seinen späteren Jahren den Anspruch aufgegeben, den Menschen in jeder Hinsicht zu erklären.

 

Es gibt mehrere sehr starke Argumente gegen den harten Naturalismus. Ein gängiges Argument hebt auf die Differenz zwischen dem ‘Reich der Ursachen’ und dem ‘Reich der Gründe’ ab. Das ‘Reich der Ursachen’, das ist die naturwissenschaftlich begriffene Natur, die in dieser Sichtweise jede Ursache hinreichend und gesetzlich beschreibbar mit ihrer Wirkung verbindet. Dies führt zur Vorstellung einer kausal geschlossenen Welt: Alles, was in dieser Welt geschieht, hat seine hinreichenden materiellen Ursachen und so etwas wie ‘Geist’ kann es deshalb nicht geben. Dies ist eine rein horizontale Weltanschauung ohne vertikale Hierarchie.

 

Doch mit einer solchen Auffassung ist unverträglich, dass der Mensch über Vernunft verfügt. Vernunft wird seit Plato definiert als die Fähigkeit, für sein Handeln und für seine Meinungen Gründe anzugeben. Der Mensch ist also nicht nur Teil der Natur, als einem ‘Reich der Ursachen’, sondern zugleich auch Teil eines ‘Reiches der Gründe’. Diese aber lassen sich nicht auf Ursachen zurückführen, denn es gibt weder Gesetzmässigkeiten des Argumentierens (wie Leibniz wollte), noch sind Gründe hinreichend für das Begründete. Deshalb sind Argumentationen so mühsam und man braucht zu ihrer Beurteilung ein eigenes Vermögen der Urteilskraft, die nicht formalisierbar ist, sondern die geübt werden will.[12]

 

Man hat natürlich versucht, dieses ‘Reich der Gründe’ im starken Sinn zu naturalisieren[13], aber es misslingt. Im Gegenteil: wer Naturwissenschaft betreibt, muss argumentieren können. Er betreibt ja Naturwissenschaft nicht als isoliertes Individuum im einsamen Kämmerchen, sondern er ist Teil einer scientific community und hier wird diskutiert und argumentiert und zwar notwendigerweise. Der harte Naturalismus ist also keine stabile Position. Bleibt der weiche Naturalismus.

 

Der harte Naturalismus ist, weltanschaulich gesehen, ein Materialismus. Das gilt auch für den weichen Naturalismus. Deshalb ist es schon einigermassen erstaunlich, dass sich selbst Theologen, wie Philipp Clayton und Niels Gregersen, zum Naturalismus bekennen.[14] Das gelingt nur um den Preis, dass man den Glaubensakt komplett aus der begründenden Rede herausnimmt. Der Glaube wird irrational und das hat zur Folge, dass er sich vom Fanatismus nicht mehr unterscheidem lässt. Ein Theologe kann also kein Naturalist sein, sei er weich oder hart.

 

Der weiche Naturalismus hat ebenfalls seinen Preis. Er muss unterstellen, dass es in der Natur Emergenzen gibt, also das Entstehen von radikal Neuem, denn nur dann können die nicht naturwissenschaftlich erklärbaren Eigenschaften des Menschen entstanden sein und nur dann ist der Mensch mehr, als die Biologie von ihm weiss. Dieses Problem ist sehr diffizil und sollte jetzt geklärt werden.[15]

 

Jürgen Habermas

Jürgen Habermas ist der einflussreichste deutsche Philosoph der Gegenwart. Ob er auch der beste ist, wie er und seine Anhänger glauben, wird sich weisen. In unserem Zusammenhang ist interessant zu sehen, welche Folgekosten der weiche Naturalismus verursacht, den er vertritt.

 

Man kann seine Philosophie als einen sprachanalytisch transformierten Kantianismus verstehen und wie bei Kant, so findet man auch bei Habermas zunächst einen nicht ausgeglichenen Dualismus vor, eben das Reich der Gründe und das Reich der Ursachen. In seinem ersten, grossen Werk, der «Theorie des kommunikativen Handelns» überantwortet er die Natur den Naturwissenschaften und lehnt jede darüberhinausgehende qualitative Naturphilosophie, wie etwa bei Ernst Bloch, ab. Das Soziale hingegen reserviert er antireduktionistisch für den Menschen. Beides steht unverbunden nebeneinander. Diese Position hatte er jahrzehntelang vertreten.

 

Dann aber schien ihm zu dämmern, dass seine Position unhaltbar ist, denn wenn er für die Natur den Darwinismus akzeptiert, für den Menschen aber eine Ausnahme macht, weil seine Sozialkompetenz diesen Darwinismus transzendiert, dann ist nicht mehr einsichtig, wie der Mensch aus der Natur hervorgegangen sein konnte.

 

Diese Paradoxie aufzulösen, ist ihm niemals gelungen. Er forderte immer und immer wieder, man müsse Darwin und Kant zusammendenken und die Evolution als einen gerichteten Lernprozess, d.h. teleologisch, begreifen.[16]  Aber wie sollte das gehen? Tatsächlich konnte Habermas dieses Paradox aus einem einfachen Grunde nicht auflösen: Er hat Zeit seines Lebens, auch heute noch im Gefolge von Max Weber, die These vom «nachmetaphysischen Denken» vertreten. Aber wenn wir die Evolution als einen Lernprozess begreifen, dann müsste sie ein Ziel haben. Gegen Darwin und die Darwinisten müsste er also eine Naturteleologie begründen und das ist ein metaphysischer Gedanke. Dasselbe gilt für den Begriff der (starken) Emergenz, von dem er Gebrauch macht und machen muss, wenn der Mensch aus der Evolution hervorgegangen ist, zugleich aber Eigenschaften zeigt, die der gängige Darwinismus nicht erklären kann. Dann muss es Sprünge in der Entwicklung geben, aber was erklärt diese Sprünge, wo doch nach Darwin die Evolution durchweg kontinuierlich verläuft?

 

Nun konnte Habermas nicht gut, nachdem er drei Generationen von Intellektuellen vom nachmetaphysischen Denken überzeugt hatte, im Alter selbst zum Metaphysiker werden. Er hätte dann eine evolutionäre Metaphysik begründen müssen wie bei Charles Sanders Peirce oder bei Alfred North Whitehead[17], für die das Entstehen des Neuen im Zentrum ihrer Überlegungen stand. Aber so weit wollte Habermas dann doch nicht gehen.

 

An der Person Jürgen Habermas’ liegt nichts, sondern an der Sache und die läuft darauf hinaus, dass nicht nur der harte, sondern auch der weiche Naturalismus scheitert, übrigens nicht nur bei Habermas. Sein Scheitern ist in die Prinzipien des weichen Naturalismus einprogrammiert.

 

Übrigens könnte man auch fragen, ob die Gleichheit von Naturalisms und weltanschaulichem Materialismus gerechtfertigt ist. Ich habe an anderer Stelle gezeigt, dass der Begriff der ‘Materie’ in keiner physikalischen Gleichung vorkommt.[18] Auch in der Biologie wird dieser Begriff immer nur vorausgesetzt. Tatsächlich wissen wir nicht aus den Naturwissenschaften, was ‘Materie’ ist, sondern es handelt sich um einen technisch-praktischen Begriff. Wer mit einem Hammer einen Nagel einschlägt, der spürt den Widerstand der Materie. Materie ist also das Widerständige, das unserer Bearbeitung widersteht. Aber weil Arbeit ein teleologischer Begriff ist (unser Eingriff in die Natur folgt immer bestimmten Zwecken) können wir den Begriff der ‘Materie’ letztlich nicht ohne den Gegenbegriff des ‘Geistes’ definieren. Der Begriff des ‘Materialismus’ ist also nicht nur kein Implikat der Naturwissenschaft, er ist noch nicht einmal stabil in sich selbst.

 

Kapitel 3: Ist die Biologie abgeschlossen?

 

Was ist Leben?

Die Frage stellen «Ist die Biologie abgeschlossen?», heisst sie bejahen, so scheint es zumindest. Richard Dawkins ist der Meinung, dass die Biologie das Problem des Lebens gelöst habe, ungefähr so wie Newton die Planetenbewegungen endgültig erklären konnte.[19] Es ist aber sehr die Frage, ob das wirklich stimmt. Obwohl verbreitet, ist die Auffassung, Newton habe die Planetenbewegungen endgültig geklärt, falsch. Seine Ableitung der Keplergesetze aus den nach ihm benannten Axiomen plus dem Gravitationsgesetz galt nämlich nur unter der idealisierenden Bedingung, dass jeder Planet einzeln mit der Sonne wechselwirkt, dass es also keine Wechselwirkung der Planeten untereinander gebe. Berücksichtigt aber man diese Wechselwirkung, dann zeigt sich, dass das Planetensystem auf die Dauer instabil ist und irgendwann einmal ins Chaos abstürzen wird. In der Biologie sind die einschränkenden Bedingungen ihrer Erklärungskraft noch viel gravierender.

 

Das Elend fängt schon an, wenn wir wissen wollen, was eigentlich ‘Leben’ sei, d.h. wenn wir eine Definition suchen. Man hat nämlich nie eine gefunden. Vor einiger Zeit fand an der Universität Bern eine Tagung zu diesem Thema statt, aber die besten Fachleute konnten sich nicht auf eine Definition des Lebens einigen.[20]

 

Strenge Definitionen sind für das zu Definierende zugleich hinreichend und notwendig. Das funktioniert in der Mathematik, in den Realwissenschaften zumeist nicht. Wir müssen uns oft mit hinreichenden Bedingungen begnügen. Aber selbst die noch schwächeren notwendigen Bedingungen sind in Bezug auf das Leben oft unzugänglich. Sage ich «Eine notwendige Bedingung für das Leben ist der Stoffwechsel», dann sind Viren keine Lebewesen. Sage ich «Notwendig für das Leben sind Nachkommen», dann ist der Maulesel kein Lebewesen, denn er ist unfruchtbar, ebenso kernlose Trauben oder Mandarinen. Sage ich: «Alles Leben beruht auf der Codierung der DNA-Basen A, G, C, T», dann habe ich möglicherweise extraterrestrisches Leben, das nicht auf dieser Codierung beruht, ausgeschlossen. Sage ich aber ganz allgemein «Das Leben vererbt sich über informationelle Codierung», so habe ich Computerviren eingeschlossen, die wir gewöhnlich nicht als Lebewesen bezeichnen würden. Sagen wir «Lebewesen sind räumlich abgeschlossene Substanzen», dann sind Pilze, Erdbeeren oder Korallen keine Lebewesen.[21] Umgekehrt vermehren sich Kerzenflammen und verfügen über Stoffwechsel, so wie sich auch die Kristalle vermehren, zeigen also Eigenschaften des Lebens.

 

Von anderen Disziplinen her kennen wir solche Abgrenzungsprobleme auch, z.B. von der philosophischen Ästhetik. Die Fachleute haben es aufgegeben, Kunst definieren zu wollen, denn man bräuchte dann eine Begriffsbestimmung, die von den prähistorischen Höhlenmalereien über die Spitzenprodukte der Renaissance bis hin zur gegenwärtigen Performancekunst alles abdeckt. Das ist aussichtslos. Deshalb ersetzt der Philosoph Nelson Goodman die Frage «Was ist Kunst?» durch die andere «Wann ist Kunst?», d.h. er fragt nach den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir etwas als ein Kunstwerk akzeptieren.[22] Nach Definitionen sucht er nicht mehr und so ist das auch in der Religionsphilosophie. Man hat keine Chance, den ostasiatischen Schamanismus, den Vodoozauber, den Buddhismus und die Zeugen Jehovas oder die römisch-staatstragende Religion unter einen Begriff zu subsumieren.

 

Man wird vielleicht sagen, dass eben die Geisteswissenschaften nicht so präzise sind, das sei aber anders in den Naturwissenschaften. Wir sehen aber, dass auch die Biologie nicht so präzise ist und das könnte an ihrem Gegenstand liegen. Vielleicht ist der so vielfältig, wie die Religionen oder die Kunstformen, aber das würde heissen, dass wir uns in der Biologie von vornherein nicht auf dieselbe Präzision festlegen können, wie in der Physik.[23] Damit stimmt überein, dass nur geringe Anteile der Biologie mathematisiert sind, wie z.B. die Spieltheorie und dass alle Versuche, Biologie zu axiomatisieren, misslungen sind. Es wird sich im Folgenden weiterhin zeigen, dass das Lebendige öfters die Forderungen einer hard science von innen her sprengt, so dass der Übergang von der Naturwissenschaft zur Naturphilosophie von hier aus zwingend wird, wenn wir verstehen wollen, was wir tun.

 

Der Begriff der ‘Funktion’

Eine Differenz zwischen der Physik und der Biologie liegt im Begriff der ‘Funktion’ (nicht als mathematische Funktion, sondern als Relevanzzusammenhang). Die Lunge erfüllt die Funktion, den Körper mit Sauerstoff zu versorgen, die Niere erfüllt die Funktion, den Körper zu entgiften usw. Ganz nebenbei könnte man versucht sein, hierin etwas Teleologisches zu sehen, denn offenbar sind diese Aussagen äquivalent zu: Die Lunge hat den Zweck, den Körper mit Sauerstoff zu versorgen, die Niere erfüllt die Funktion, den Körper zu entgiften usw.

 

Solche Phänomene gibt es nur im Lebendigen, nicht aber im Anorganischen. Der Mond hat z.B. nicht die Funktion, die Gezeiten hervorzurufen, die Sonne hat nicht die Funktion, den Tag hell zu machen. Aus diesem Grund gibt es im Anorganischen nichts Dysfunktionales oder anders gesagt, keine Krankheiten. Ein ionisiertes Atom ist noch lange nicht ‘krank’. Funktionieren hingegen Lunge und Niere nicht zufriedenstellend, dann sind wir wirklich krank.

 

Nun sind die meisten Biologen der Meinung, dass es sich hier nicht um Teleologie, sondern bloss um Teleonomie handelt. Danach sieht es nur so aus, als wären bestimmte Organe oder als wären bestimmte Verhaltensweisen zweckmässig, in Wahrheit ist das vorgeblich Zweckmässige nur das übrig Gebliebene der Evolution, das sich bewährt hat. Dagegen gibt es aber gravierende Gegenargumente.

 

Die Biologin und Philosophin Eva-Maria Engels macht folgendes Beispiel:[24] Wenn es in den Alpen einen Berg gibt, an dem des Öfteren Lawinen abgehen, so nimmt die Lawine ‘mit Vorliebe’ die Steine mit ins Tal, die hoch und rund sind. Über diejenigen hingegen, die flach sind, rauscht sie hinweg. Wir würden aber niemals sagen, dass die flachen Steine deshalb zweckmässig sind, weil sie die Lawine ‘überleben’.

 

Der Philosoph Peter McLaughlin hat in einer brillanten Studie nachgewiesen, dass Funktionalität evolutionär überhaupt nicht erklärt werden kann. Eines seiner beeindruckendsten Beispiele ist der Sumpfmaulesel, ein Gedankenexperiment:[25] Man könnte sich vorstellen, dass sich in einem Sumpf die Atome zufällig so zusammenfügen, dass ein Maulesel entsteht. Dieser Sumpfmaulesel hat keine evolutionäre Vergangenheit, aber auch keine Zukunft, denn er ist unfruchtbar. Wir würden aber dennoch sagen, dass seine Lunge die Funktion hat, den Körper mit Sauerstoff zu versorgen oder seine Niere, den Körper zu entgiften.

 

Dies zeigt aber, dass der Begriff der ‘Funktion’ gar nicht an dem der ‘Evolution’ hängt, wie ständig behauptet wird. Er ist logisch unabhängig davon und zwar sowohl der vergangenen, als auch der zukünftigen Evolution, denn man könnte sonst argumentieren, dass ein Tier, das dem Sumpf entstieg, zwar nicht natürlich geworden ist, dass es aber seine Fähigkeiten an die Nachkommen weitergibt, so dass sie sich in der Zukunft bewähren.

 

McLaughlin erklärt die Funktionen deshalb nicht evolutionär, sondern als Eigenschaft bei der Selbsterhaltung von Lebewesen. Dazu dienen Lunge und Niere. An dieser Stelle kommt er sehr nahe an die Aristotelische Entelechielehre heran, wonach das Lebendige seinen Zweck in sich selber hat, im Gegensatz zum Technischen, das einem äusseren Zweck dient. Diesen Gedankengang führt er aber nicht näher aus, offenbar aus Sorge, Metaphysiker zu werden. Während vor 200 Jahren jeder Philosoph ein Metaphysiker war, will es heute keiner sein, auch wenn es der Gedanke durchaus nahelegt.

 

Die Biologie: ein Flickenteppich

Es ist unzutreffend, von der Biologie im Singular zu sprechen. Die Biologie ist ein loser Verbund verschiedener Disziplinen, die logisch nicht wirklich zusammenhängen, wie z.B. Molekularbiologie und Verhaltensforschung. Übrigens gilt: Besser ein Flickenteppich, als gar kein Teppich, wenn wir etwas Besseres nicht haben können. Es sieht nämlich so aus, als sei das Leben zu vielfältig, um es mit einem einzigen Modell zu erfassen.[26]  Die Molekularbiologie repräsentiert vermutlich die beste Annäherung an eine strenge Wissenschaft in der Biologie, aber wie ist es mit der Verhaltensforschung?

 

Lange Zeit war in der Verhaltensforschung oder Ethologie der Behaviourismus herrschend. Dieser betrachtete die Lebewesen als Input-Output-Maschinen. Von aussen kommen irgendwelche Sinnesreize, die im Gehirn, als eine Art Computer mit fester Software verarbeitet wird, um anschliessend die Extremitäten zu steuern. Also auf die Art, wie wir heute die Roboter bauen, nämlich als Reiz-Reaktionsmaschinen.[27]

 

Diese Sichtweise hat sich nicht bewährt und der Umschwung kam von einer Aussenseiterin, der heute so berühmten Jane Goodall. Sie hatte kein Biologiestudium absolviert, sondern war einfach nur die Sekretärin eines Professors, der in Schwarzafrika seine Studien betrieb. In ihrer Freizeit kroch sie durch den Urwald und ‘freundete’ sich mit den Schimpansen an, deren Vertrauen sie gewann, so dass sie sogar mit deren Nachwuchs spielen und sie auf den Arm nehmen durfte. Sie wurde also als ihresgleichen anerkannt.

 

Die Basis dafür war die Empathie, das sich-Einfühlen in diese Wesen, die über ein reichhaltiges emotionales Innenleben verfügen. Ihr Ansatz war also das Gegenteil der behaviouristischen input-output-Maschinen. Diese Sichtweise hat sich inzwischen durchgesetzt, wenngleich es immer noch Proteste dagegen gibt und zwar deshalb, weil das sich-Einfühlen, gemessen an den Standards einer strengen Biologie, zu subjektiv ist. Aber die Frage ist eben, ob man das Verhalten der Primaten verstehen kann, ohne Subjektivität ins Spiel zu bringen.

 

Wenn wir davon ausgehen, dass Menschen nicht nur unter ihresgleichen, sondern auch zu aussermenschlichen Lebewesen ein empathisches Verhältnis haben können – was jedem Hundebesitzer vertraut sein sollte -, dann befinden wir uns hier an der Grenze des naturwissenschaftlich-objektivierenden Weltverstehens, denn ‘Empathie’ ist keine naturwissenschaftliche Kategorie mehr.[28]

 

Wir könnten also sagen: hier sprengt der Sachverhalt die Modelle einer reduktionistisch vorgehenden Biologie, was nichts gegen diesen Reduktionismus sagt und was schon gar nicht deren Fruchtbarkeit oder Dignität in Frage stellt, sondern nur ihren Anwedungsbereich begrenzt. Wenn wir einen schwarz-weiss-Film in der Kamera haben, dann sehen wir die Umrisse der Gegenstände womöglich schärfer als auf einem Farbfilm, der uns mit seiner Buntheit ablenken könnte. Aber es geht eben auch etwas verloren. Qualität und Quantität sind umgekehrt proportional. Das ist ungefähr so ähnlich wie in der Ökonomie, wo alles Mögliche monetär quantifiziert wird. Damit lässt sich Mathematik, als den Inbegriff der Exaktheit, anwenden. Aber das Qualitative des Existenziellen oder Moralischen geht dabei verloren. Die Ökonometrie, als die mathematisierte Ökonomie, ist in dem Masse exakt, in dem sie gewisse Inhalte ausschliesst. Man vergisst oft, dass ‘Präzision’ von lateinisch ‘praecindere’ kommt, was so viel wie ‘abschneiden’ heisst.

 

Der ontologische Bruch

Viele Biologen anerkennen die Sonderstellung des Menschen gegenüber ihrer Wissenschaft nicht, während sie umgekehrt auf der Sonderstellung ihrer Wissenschaft gegenüber der Physik bestehen. Das ist sehr merkwürdig, denn in beiden Fällen könnte man argumentieren, dass es ein evolutionäres Kontinuum gibt, einmal von der präbiotischen zur biotischen und dann von der biologischen zur anthropologischen Entwicklung: «natura non facit saltus» hiess es einmal. Aber vielleicht macht die Natur dennoch Sprünge?

 

Oben wurde gezeigt, dass wir beim Übergang von der physikalischen Entwicklung zur Entwicklung des Lebendigen ganz neue Kategorien brauchen, namentlich die funktionalen, und so haben wir auch hier einen qualitativen Sprung, den man heute ‘Emergenz’ nennt, ohne wirklich etwas zu erklären, denn ‘Emergenz’ ist eigentlich nur ein Etikett für etwas, das wir nicht verstanden haben. Doch wenn die Natur imstande ist zu solchen qualitativen Sprüngen, warum sollte sich das Entstehen des Menschen nicht auch einem solchen qualitativen Sprung verdanken, wo doch alles dafür spricht und wo wir doch bei der Beschreibung des Menschen ebenfalls neue Kategorien brauchen?

 

Ist dies richtig, dann genügt es nicht, Natur mit Hilfe gleichsinniger Ursache-Wirkungsverhältnisse zu beschreiben. Natur ist vielmehr imstande, radikal Neues hervorzubringen und wir sollten dies als ein philosophisches Datum auffassen, denn rein positiv-wissenschaftlich fassbar ist es nicht. Die Biologie z.B. setzt das Leben immer schon als vorhanden voraus und erklärt sein Entstehen nicht. Wenn es das Leben gibt, so zeigt uns die Biologie wie es weitergeht, aber nicht wie es entstanden ist.[29] Das Problem der Emergenz wird uns immer wieder begegnen. Es ist ein Grundproblem der Naturphilosophie.

 

Kapitel 4: Der Vitalismus

 

Neovitalismus

Die meisten Biologen werden ungehalten, wenn von ‘Naturteleologie’ die Rede ist. Hat nicht Darwin gezeigt, dass wir die scheinbare Teleologie der Natur logisch äquivalent in nicht-Teleologisches, rein Kausalmechanisches übersetzen können, nach dem Vorbild der Physik? In der Physik gab es lange Zeit teleologische Prinzipien wie «Das Licht nimmt den kürzesten Weg» oder allgemein die Wirkungsintegrale. Man konnte aber zeigen, dass diese teleologische Beschreibung durch Integrale differentiellen Prinzipien logisch äquivalent waren, die keine teleologische Konnotationen mehr hatten. Nach dem «Occamschen Rasiermesser» («principia non sunt multiplicanda praeter necessitatem» = die Prinzipien sollen nicht willkürlich vermehrt werden) war damit Teleologie für die Physik erledigt, denn was man mit weniger und weniger starken Prinzipien erklären kann, soll man nicht durch mehr oder stärkere Prinzipien erklären.[30]

 

Nach diesem Muster hat man auch Darwin gedeutet. Er habe gezeigt, dass man eine teleologische Beschreibung des Lebendigen durch eine kausalmechanische, metaphysikfreie Beschreibung ersetzen könne. Das ist heute die Standardauffassung in der Biologie. Wir haben aber gesehen, dass es nicht so einfach ist.

 

Im historischen Gedächtnis geblieben ist der Neovitalismus eines Hans Driesch.[31] Seine Arbeiten fallen um die Zeit um 1900. Er experimentierte an Seeigeleiern und fand heraus, dass man solche Eier mit dem Bindfaden teilen konnte und daraus erwachsen dann nicht zwei halbe Seeigel, sondern zwei ganze. Das war nach damaligem Wissensstand völlig unverständlich. Folglich nahm Driesch an, dass es im Lebendigen eine metaphysische Kraft gibt, die er – missverständlich ‘Entelechie’ – nannte. Diese metaphysisch-geistige Kraft hebt in seiner Sichtweise die physikalischen Gesetze auf und wirkt stattdessen ganzheitlich auf die Materie ein, die das Lebendige zusammensetzt. Obwohl er immer betont hat, dass sein Begriff der ‘Entelechie’ mit der gleichlautenden des Aristoteles nichts zu tun hat, hat ihm das nichts genützt. Wer heute von ‘Entelechie’ spricht, wie wir im Zusammenhang mit McLaughlin, wird sofort als Neovitalist gebrandmarkt, obwohl Aristoteles niemals auf die Idee gekommen wäre, dass im Lebendigen die Naturgesetze aufgehoben sind. Nach seiner Auffassung haben die Gesetze des Anorganischen Freiheitsgrade, die durch das Lebendige erfüllt werden können.

 

Nun war es aber so, dass im Verlauf der Biologiegeschichte alles, was Driesch mit seiner Entelechie erklären wollte, auch ohne sie erklärt werden konnte einfach, weil man Einsicht in die genetischen Verhältnisse erlangte. Davon blieb im historischen Gedächtnis die Blamage, dass Naturteleologie ein kulturkonservatives Rückzugsgefecht sei, das jederzeit zum Scheitern verurteilt ist.

 

Intelligent Design

Naturteleologie wird heute namentlich vom «Intelligent Design Movement» vertreten und entsprechend schlechtgeredet.[32] Man gibt sich dann nicht die geringste Mühe, die entsprechenden Argumente zu prüfen, so als handle es sich um das Gespenst des Neovitalismus, der erledigt sei. Dabei ist eine Position so stark oder schwach, wie ihre Argumente und die gilt es erst einmal zu prüfen. Übrigens ist der Philosoph Thomas Nagel der Einzige, der diese Prüfung unternommen hat und der bemerkte, dass es so leicht nicht ist, mit Naturteleologie fertigzuwerden.[33]

 

Das «Intelligent Design Movement» kommt aus den USA und macht folgendes Argument stark, das man wirklich ernst nehmen sollte[34], nämlich das Argument der ‘unreduzierbaren Komplexität’: Nach Darwin können sich Aufbau und Verhalten der Lebewesen nur mikrologisch und kontinuierlich vollziehen. Dagegen hat er sich schon selbst den Einwand gemacht (die besten Wissenschaftler machen sich selbst die vernichtendsten Einwände): «Wie soll meine Theorie», so sagte er, «so etwas komplexes wie das Auge erklären können», wenn es doch Schritt für Schritt entstanden sein muss, wobei jede Phase ihren evolutionären Mehrwert erwirtschaften muss? Wozu ist schliesslich ein halbes Auge gut? Es kostet wertvolle Energie beim Aufbau und dient zu nichts. Darwin war so selbstkritisch zu sagen: wenn die Entstehung des Auges aufgrund meiner Theorie nicht erklärt werden kann, dann ist sie erledigt.

 

Allerdings konnte man inzwischen zeigen, dass von lichtempfindlichen Zellen, über die Entwicklung einer Linse bis hin zu den vollständigen Augen jeder Zwischenschritt einen evolutionären Mehrwert erwirtschaftet. Dieses Argument ist mithin erledigt. Aber Intelligent Design hat stärkere Waffen: Während es lange Zeit als ausgemacht galt, dass die Natur keine Räder hervorgebringt, ist dies jedoch falsch.

 

Es gibt winzige, sehr komplexe molekulare Motoren, die ein Flagellum antreiben, mit deren Hilfe sich Bakterien in einer Flüssigkeit bewegen können. Diese Motoren bestehen aus sehr vielen Teilen, die einzeln keinen Sinn machen. Es entsteht also der Eindruck, als seien diese Motoren auf ein Mal als Ganze entstanden. Das wäre aber im Widerspruch zur Evolutionstheorie, die nur kleine Schritte erlaubt. Ob man imstande sein wird, auch solche sehr komplexen molekularen Motoren aufgrund von Mikromutationen zu erklären, weiss bislang niemand. Wenn nicht, wäre es ein Argument gegen die Evolutionstheorie, denn dann wäre das Auftreten solcher Gebilde ein Fall starker Emergenz.[35]

 

Obwohl also zur Zeit nicht ersichtlich ist, wie man die molekularen Motoren durch kontinuierliche Prozesse erklären könnte, ist dies doch ein empirisches Problem und man kann nicht positiv ausschliessen, dass es vielleicht doch irgendwann einmal gelingen könnte. Von daher ist, wie es scheint, das prinzipielle Argument mit der Sprache erfolgversprechender, denn es ist gar nicht einzusehen, wie Rede von ‘Funktionen’, die doch nichts sind als Zwecke, jemals aus der Biologie verschwinden könnte. Die Biologie ist also nicht dicht gegen Metaphysik und sie ist schon gar keine anti-religiöse Instanz, wie Richard Dawkins[36] und andere glauben.

 

Allerdings gilt das Umgekehrte auch nicht: wenn die Evolutionstheorie in ihrer gängigen Variante falsch sein sollte, ist deshalb nicht automatisch das Christentum wahr. Manche Anhänger von Intelligent Design scheinen dies zu glauben. Aber das ist nicht richtig. Man denke nur an Schopenhauer. Für Schopenhauer ist die Natur durch und durch teleologisch strukturiert und wirksam, aber es gibt keinen guten Gott, der sie erschaffen hätte. In der Natur geschieht so viel Grausames – jeder frisst jeden –, dass man eher auf die Idee kommen könnte, sie sei vom Teufel erschaffen. Schopenhauer hat diesen Gedanken verschiedentlich zum Ausdruck gebracht. In der Antike waren es die Manichäer, die glaubten, die sichtbare Welt sei von einem bösen Geist erschaffen worden. Traditionell gilt der Teufel als sehr intelligent, wenn auch grausam. Er käme also als Ursprung der Naturteleologie in Frage.

 

Dass das nicht weit hergeholt ist, zeigt ein Vergleich mit der Technik: Im Dritten Reich waren die deutschen Ingenieure die besten auf der Welt. Sie hatten mit Wernher von Braun die ersten leistungsfähigen Raketen entwickelt, mit Ernst Heinkel die ersten Düsenjäger und mit Werner Heisenberg arbeiteten sie an der Atombombe, während sie Pläne für einen Tarnkappenbomber in der Schublade hatten. Alles nur vom Besten. Aber die immanente Funktionalität garantierte nicht die Moral des Ganzen, sondern die gut funktionierende Technik stand im Dienst eines teuflischen Regimes. Das ist, was Horkheimer und Adorno eine «Dialektik der Aufklärung» genannt haben.[37] Hocheffiziente Zweckrationalität und Barbarei vertragen sich sehr gut. Die Rationalität des Einzelnen garantiert nicht die Rationalität des Ganzen und so ist das auch in der Natur.[38]

 

Das heisst also: der Übergang von der Teleologie zur Theologie ist nicht direkt. Teleologie ist nicht hinreichend für Theologie, sondern bloss notwendig. Das heisst, ohne Teleologie gibt es auch keine Theologie, aber sie folgt nicht aus ihr. Wir können den Teufel nicht apriori ausschliessen oder weniger exotisch: wir können auch den Pantheismus nicht ausschliessen. So war z.B. Goethe ein Gegner des Christentums (das hat er nur nicht so laut gesagt, um keine Schwierigkeiten zu bekommen), aber seine Naturauffassung war durch und durch teleologisch, eben auf Grundlage seines Pantheismus.

 

Bei Thomas von Aquin gab es freilich einen Gottesbeweis aus der Naturteleologie, aber nur, weil er bestimmte Zusatzannahmen machte, wie die einer vertikalen ‘scala naturae’, d.h. einer Serie von Vollkommenheitsstufen, die auf ein absolut vollkommenes Wesen verwiesen. Das würde den Teufel selbstredend ausschliessen, aber auch den Pantheismus, denn ein Gott, der von seiner Schöpfung abhängig ist, ist sicher kein absolut vollkommenes Wesen. Vielleicht haben die, die zu rasch von der Teleologie auf die Theologie schliessen, solche Zusatzannahmen im Hinterkopf. Aber sie wären zu begründen und nicht einfach nur vorauszusetzen. Andererseits ist Naturteleologie mit jeder Form des Materialismus unverträglich. Wenn es Sinn und Zweck in der Natur gibt, dann gibt es in ihr auch etwas Geistiges und das erklärt, weshalb viele Biologen so allergisch reagieren, wenn von ‘Teleologie’ die Rede ist. Man könnte doch sagen: «Lass uns die Sache unvoreingenommen prüfen, dann werden wir schon sehen», so wie man z.B. prüfen kann ob die Vögel von den Sauriern abstammen oder nicht. Stattdessen haben wir einen regelrechten Glaubenskrieg.

 

Das ist einigermassen erstaunlich, schliesslich war Darwin kein Atheist. Er war Agnostiker, liess aber immer noch die Frage offen, woher die biologischen Gesetze stammen. Es wäre wohl denkbar, dass sie von Gott gesetzt wurden, denn wenn der Biologe die Entwicklung des Lebendigen aufgrund dieser Gesetze erklärt, so erklärt er diese nicht. Keine Erklärung erklärt ihre eigenen Voraussetzungen.

 

Die Verwandlung des Darwinismus in eine atheistische Instanz geschah erst bei Ernst Haeckel. Er verband den Darwinismus mit einer aggressiven materialistisch-monistischen Position und liess sich sogar in Rom zum atheistischen Gegenpapst krönen. Die Biologie wurde zur weltanschaulichen Position im Sinn einer Ersatzreligion. Diese Ersatzreligion war in Gefahr, wenn man zeigen konnte, dass es in der Natur Zwecke gibt. Es ist, wie wenn ein Christ nicht mehr an Jesus glauben würde. Früher kam man dafür auf den Scheiterhaufen. Die scientific community ist nicht weniger radikal.

 

Der Frankfurter Biologe Wolfgang Gutmann begriff die Lebewesen als realteleologische Gebilde, weil sie zugleich einen technischen Aspekt haben, den der Darwinismus nicht erklären konnte.[39] Daraufhin wurde er von den Kollegen gemieden, man lud ihn nicht mehr zu den Kongressen ein und wenn er dennoch irgendwo erschien, setzten sich die Kollegen an einen anderen Tisch. Das hat ihn so verbittert, dass er verfrüht an einem Herzinfarkt starb. Intoleranz gibt es nicht nur in den Religionen, wie Richard Dawkins annimmt, sondern genauso gut auch in der Wissenschaft.

 

Kapitel 5: Supervenienz

 

Schwache und starke Supervenienz

Der Naturalismus beruft sich zu Unrecht auf die Naturwissenschaft. Er beruht auf einer nicht gerechtfertigten Zusatzprämisse, um die Naturwissenschaft in einen weltanschaulichen Materialismus zu verwandeln. Daraus erklärt sich übrigens, weshalb sehr bedeutende Naturwissenschaftler oft keine Materialisten waren. So z.B. die Physiker Max Planck, Albert Einstein, Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli, aber auch Biologen wie Theodosius Dobzhansky oder Francisco Ayala. Ayala war zugleich katholischer Priester.

 

Man sollte sich ganz klar machen, was das bedeutet. Wäre der religiöse Glaube ein völlig überholter Aberglaube, wie die ‘Neuen Atheisten’[40], also z.B. Dawkins und Dennett unterstellen, so könnte es keine erstrangigen gläubigen Naturwissenschaftler geben. Das wäre sonst so ähnlich, als hätte Einstein nicht nur die Spezielle, sondern auch die Allgemeine Relativitätstheorie entwickelt, wäre zugleich auch noch Astrologe, der Horoskope für die Regenbogenpresse schriebe. Völlig undenkbar!

 

Ein weiteres Prinzip, das dazu dienen soll, Naturwissenschaft für die Legitimation des weltanschaulichen Materialismus heranzuziehen, ist das Supervenienzprinzip. Es besagt: Die Welt hält von unten her, vom materiellen Bestand her zusammen und dieser Bestand bestimmt alles Höhere. Man fühlt sich an die marxistische Lehre erinnert, wonach die Basis den Überbau bestimmt, allerdings war das bei den Marxisten die sozio-ökonomische Basis und der Überbau, das waren die Kunst, das Recht, die Moral, ja sogar die Naturwissenschaften. Das Supervenienzprinzip geht davon aus, dass es in den Tiefen der Materie Moleküle, Atome, Elementarteilchen, Superstrings oder was auch immer gibt, jedenfalls Teilchen, die man sich separierbar vorstellen kann. Auf diesen Teilchen ruht alles auf und in den ‘höheren Stockwerken’ kann dann nichts Neues mehr passieren, weder im Bereich des Lebendigen, noch im Bewusstsein, im Selbstbewusstsein, in der Vernunft, in der Moral usw. Dies ist also ein materialistisches Prinzip: Die Materie ist das Bestimmende.

 

Das Supervenienzprinzip kommt in zwei Versionen, einer starken und einer schwachen.[41] Das starke Supervenienzprinzip geht davon aus, dass die ‘höheren Stockwerke’ nomologisch abhängig sind von der Basis. Ein Beispiel wäre das Verhältnis zwischen Molekularkinetik und phänomenologischer Thermodynamik: Hat man in einem Gas eine gewisse Geschwindigkeitsverteilung der Moleküle, so sind damit Temperatur und Druck dieses Gases eindeutig festgelegt. Doch das Umgekehrte muss nicht der Fall sein: bestimmte Werte für Druck und Temperatur können mit verschiedenen Geschwindigkeitsverteilungen der Moleküle verträglich sein. Wichtig ist nur, dass man ‘von unten nach oben’ eindeutig schliessen kann, denn nur dann bestimmt die materielle Basis den Überbau und die Eigenständigkeit des Geistigen wird vermieden.

 

Das schwache Supervenienzprinzip geht nur davon aus, dass die Basis den Überbau eindeutig bestimmt, ohne dass diese Bestimmung gesetzlicher Natur sein müsste. Also, wenn wir am Himmel eine Cumuluswolke sehen, die an einen Elephanten erinnert, dann legen die H2O-Moleküle des Wasserdampfes diese Gestalt eindeutig fest, ohne dass man glauben müsste, es gäbe ein Naturgesetz, das die Gestalt eines wolkigen Elephanten festlegt. Seine Gestalt ergibt sich rein faktisch, durch Zufall. Gleichwohl ist es undenkbar, dass sich die entsprechende Verteilung der H2O-Moleküle des Wasserdampfes in der Wolke vorfindet und dass diese Wolke aussieht wie ein Wolf.

 

Die schwache Form des Supervenienzprinzips hat der Philosoph Donald Davidson in die Leib-Seele-Debatte eingeführt.[42] Er hatte ursprünglich zeigen wollen, dass alle geistigen Leistungen des Menschen durch seinen materiellen Seinsbestand gesetzlich festgelegt werden, ist aber daran gescheitert. Was oben die Selbstständigkeit des ‘Reichs der Gründe’ gegenüber dem ‘Reich der Ursachen’ genannt wurde, musste ihm irgendwann einmal einleuchten. Um den Materialismus zu retten erklärte er die geistigen Eigenschaften des Menschen als schwach emergent. Dadurch konnte er zulassen, dass wir über diese geistigen Eigenschaften des Menschen in einer ganz anderen Sprache reden als über seine somatischen, also z.B. über die Eigenschaften des Gehirns. Es war aber weiterhin alles = Materie, obwohl wir diese geistigen Eigenschaften nicht explizit auf die materielle Basis zurückführen können. Damit war der Materialismus gerettet, aber um den Preis einer willkürlichen Unterstellung. Es gibt in der Natur zwar beides, schwache und starke Supervenienz, aber nicht durchweg und dies aus mehreren Gründen.

 

Zum Einen ist die Vorstellung, das Seiende lasse sich jederzeit in separierbare Teile zerlegen, häufig nicht zutreffend. Man kann zwar die Newtonsche Physik so verstehen, als seien die von ihr gelehrten Punktmassen sowas wie Demokritsche Klötzchen, aber schon die Analytische Mechanik des 18. Und des 19. Jahrhunderts legt eine solche Ontologie nicht mehr nahe. In diesen avancierten Formen der Physik spricht man nicht mehr von ‘Ding und Eigenschaft resp. Von ‘Substanz und Akzidenz’, sondern von System und Eigenschaften. Das System wird charakterisiert durch seine Gesamtenergie und weiter durch bestimmte Operatoren, die für die Impulse und Kräfte stehen, die aber keinen anschaulichen Gehalt mehr haben. Die Grundlage des Supervenienzprinzips erodiert schon hier, denn sie geht von separierbaren Teilchen aus, die das Ganze festlegen sollen. In der Quantenfeldtheorie verschärft sich die Sachlage. Nach der Physikerin und Philosophin Brigitte Falkenburg ist ein Teilchen in der Quantenfeldtheorie nichts an ein n-stellige Relation, hat also keinen dinghaften, substanziellen Charakter mehr.[43]

 

Es ist freilich strittig, ob es Relationen ohne Relate geben kann. Manche glauben an freischwebende Relationen, andere lassen sehr formale Relate zu, die aber ebenfalls nichts mehr von einem Seinsklötzchen an sich haben.[44] Damit ist dem Supervenienzprinzip von der materiellen, physikalisch beschreibbaren Basis her, die Grundlage entzogen. Aber das ist in der Biologie nicht viel anders.

 

Zu Beginn der genetischen Forschungen gab es eine Art von ‘Dogma’:

 DNA   anything else   --->>

 

Die Vorstellung war die, dass das Genom in einzelne Gene zerfällt und dass die einzelnen Gene die Eigenschaften des mesokosmischen Phänotypus festlegen. Also: es würde nach dieser Vorstellung ein Gen für Augenfarbe, für Körpergrösse, für Intelligenz usw. geben. Wenn es sich so verhielte, dann würden alle Eigenschaften des Phänotypus auf denen des Genotypus supervenieren. Die Gene würden unsere Eigenschaften hinreichend festlegen. Aber die Forschung hat gezeigt, dass es so einfach nicht ist.

 

Es hat sich nämlich gezeigt, dass das Genom nicht in einzelne Stücke zerfällt, deren Funktion für das Ganze eindeutig bestimmbar wäre, sondern verschiedene Genabschnitte können zusammen für bestimmte Eigenschaften kausal verantwortlich sein und selbst das Umgekehrte gilt: ein und derselbe Genabschnitt kann ganz verschiedene phänotypische Eigenschaften festlegen. Wir haben also ein many-to-many-Relation. Aber das heisst, dass auch hier das Supervenienzprinzip unanwendbar wird. Weder haben wir klar separierbare Teile, noch eine Kausalwirkung bloss in einer Richtung bottom-up. Es gibt immer auch die Wirkung top-down und das ist mit dem Supervenienzprinzip unverträglich. Die höhere Ebene hat eine gewisse Autonomie. Die Biologie unterstützt ihre materialistische Interpretation nicht. Das zeigt sich überall ganz deutlich.

 

Z.B. können die Zellen eines Organismus Gene an- und abschalten, wirken also zugleich auch top-down. Weil es solche Fälle im Lebendigen öfters gibt, bestreitet der Philosoph der Bioloogie, John Dupré, die Gültigkeit des Supervenienzprinzips.[45] Dies kommt einer Palastrevolution gleich, denn Dupré ist ein Analytischer Philosoph, und damit ein weltanschaulicher Materialist. Doch wenn die Dogmen des Materialismus fallen, dann fällt auch dieser. Dupré gibt ein weiteres, sehr beeindruckendes Beispiel, wie das Supervenienzprinzip in der Biologie verletzt ist:

 

Die Organismen arbeiten häufig mit Pheromonen, also mit Botenstoffen. Nun haben diese Botenstoffe aber, bei gleicher chemischer Struktur, ganz verschiedene Funktionen für den Organismus d.h. die Chemie legt die höheren biologischen Funktionen nicht fest. Sie supervenieren nicht auf der molekular beschreibbaren Basis.[46]

 

Wir könnten uns das mit einem anthropologischen Vergleich näher bringen: Wenn Funktionen nichts anderes sind als Zwecke, dann besagt diese Einsicht, dass Mittel ihre Zwecke nicht festlegen. Zwecke supervenieren nicht auf den Mitteln. Das sind wir im Alltag gewöhnt. Ich habe 100.- € zur Verfügung und kann mir dafür ein preiswertes Paar Schuhe kaufen, einen Pullover oder ich kann ins Spitzenlokal gehen und das Geld sinnlos verprassen. Auch bei Mittel und Zwecken herrscht eine many-to-many-Relation. Nicht nur kann ein Mittel zu ganz verschiedenen Zwecken dienen. Auch das Umgekehrte ist der Fall: Habe ich das Ziel oder den Zweck, von A nach B zu gelangen, dann kann ich die S-Bahn nehmen, mit dem Fahrrad fahren oder auf dem Esel reiten. Würde alles gehen. Man nennt dies das ‘Prinzip der multiplen Realisierbarkeit’. Mittel und Zwecke sind also wechselseitig kontingent. Sie legen sich nicht fest. Da unser Handeln jederzeit bestimmt wird durch ein System von Mittel und Zwecken, so heisst dies, dass auch menschliches Handeln dem materialistischen Schema nicht genügt. Der weltanschauliche Materialismus hängt parasitär an der Wissenschaft und hat mit ihr eigentlich nicht viel zu tun. Weder zerfällt die Welt in einzelne separierbare Teilchen, noch legen diese alle höheren Gehalte fest. An den Materialismus muss man also glauben und ob diese Art von Glaube anderen Formen des Glaubens überlegen ist, müsste man noch sehen. Mit Wissenschaft hat er jedenfalls nichts zu tun.

 

Supervenienz und Emergenz

Diese beiden Begriffe sind etwas verwirrend, weil sie auch in der Literatur nicht einheitlich gebraucht werden. Eine verbreitete Begriffsbestimmung würde in etwa so aussehen:

 

Sowohl Emergenz, als auch Supervenienz beziehen sich auf etwas Neues in der Natur. Aber während Emergenz sowohl synchron, als auch diachron gebraucht wird, bezieht sich Supervenienz nur auf synchrone Verhältnisse. Also das Entstehen von Leben in der Evolution ist ein Fall von Emergenz, nicht aber von Supervenienz, während das Gehirn-Geist-Verhältnis als ein synchrones von beiden beschrieben werden kann.

 

Beide, Supervenienz und Emergenz, kommen in einer schwachen und in einer starken Form vor. Schwache Supervenienz geht davon aus, dass die superveniente Ebene nur faktisch von der subvenienten (tieferliegenden) Ebene abhängt, während starke Supervenienz davon ausgeht, dass zwischen Basis und Überbau ein naturgesetzliches Verhältnis der Notwendigkeit herrscht. Starke Emergenz bezeichnet das unableitbare Neue, sei es diachron oder synchron, während schwache Emergenz das Neue bezeichnet, das aber aus den Teilen der Basis oder aus der Vorgeschichte ableitbar ist. Das läuft darauf hinaus, dass wir starke Supervenienz mit schwacher Emergenz kombinieren können oder auch schwache Supervenienz mit starker Emergenz. Das ist vielleicht etwas verwirrend, aber die Begriffe haben sich unabhängig voneinander so entwickelt und werden grosso modo so gebraucht.

 

Um einige Beispiele zu machen: Der Geist superveniert auf dem Gehirn, wenn wir voraussetzen, dass er sich aus den feuernden Neuronen nicht ableiten lässt.[47] Druck und Temperatur eines Gases supervenieren stark auf den Molekülzuständen, darauf wurde schon hingewiesen, weil Ludwig Boltzmann ein Gesetz ihrer Verknüpfung angegeben hat. Das Entstehen des Lebens oder des Menschen aus der Evolution emergiert stark, weil es keine Gesetzmässigkeit gibt, die dieses Entstehen notwendig machen würde. Ansonsten müssten wir behaupten, dass im Urknall schon alles enthalten war, so dass wir Goethes Gedichte aus der physikalischen Kosmologie ableiten könnten. Das Entstehen von Landlebewesen emergiert schwach auf der Vorgeschichte entsprechender Fische, denn es war wohl zu erwarten, dass sie irgendwann einmal an Land gehen würden, um ihren Fressfeinden zu entkommen. Entsprechendes gilt für das Entstehen von flugfähigen Tieren.

 

Kapitel 6: Moral und Natur

 

Die Naturalisierung der Moral

Von Soziobiologie war schon verschiedentlich die Rede, d.h. von dem Versuch, alle Eigenschaften des Menschen rein biologisch zu erklären. Jetzt geht es um die Naturalisierung der Moral. Das Argument, das dafür spricht lautet: Es gibt Altruismus im Tierreich und menschlicher Altruismus ist ganz von derselben Art. Unter ‘Altruismus’ versteht man dabei Verhaltensweisen, die dem Träger dieser Verhaltensweisen nichts nützen, sondern anderen Lebewesen. Wenn Tiere mit viel Mühe ihre Jungen grossziehen und bis zur Erschöpfung Nahrung herbeischaffen, dann nützt es ihnen nichts, sondern nur den Nachkommen.

 

Die Biologen sind allerdings der Meinung, dass dies im egoistischen Geninteresse geschieht.[48] Die eigenen Nachkommen tragen auch die eigenen Gene und die Lebewesen sind so verschaltet, dass die eigenen Gene sich maximal reduplizieren. Man sieht, der tierische Altruismus ist letztlich ein Genegoismus. Wurzelt Altruismus im Geninteresse, dann ist er nicht wirklich selbstlos, was wir unter menschlichem Altruismus verstehen würden.

 

Der Erfinder der Soziobiologie, Edward Wilson, wurde einmal gefragt, die er denn Mutter Teresa aus Kalkutta aufgrund seiner Theorie verstehen müsse, denn sie kam aus Albanien, war also mit den Indern genetisch kaum verwandt und die Babys, die sie aus der Mülltonne zog, wo sie von verzweifelten Müttern abgelegt wurden, würden ihr – erwachsen geworden – nichts mehr nützen, denn dann wäre sie längst tot. Die Antwort von Wilson soll gewesen sein: «Diese Frau ist verrückt». Das heisst, die Menschen, die wir für den Inbegriff der Moral halten, fallen aus dem Raster der Soziobiologie heraus und der Grund ist einfach der, dass das funktionale Denken der Biologie keine Kategorie für Selbstzwecklichkeit kennt. Echte Moralität liegt nach Kant erst dort vor, wo der Handelnde keinen selbstsüchtigen Zweck verfolgt.

 

Das Problem zeigt sich auch beim sogenannten ‘reziproken’ Altruismus, der die Artgrenzen überschreitet und der deshalb mit dem Genegoismus nichts zu tun haben kann. Wenn z.B. im Regenwald ein Affe den Tiger im Unterholz schleichen sieht, warnt er die anderen Tiere vor diesem Fressfeind. Er hört aber damit auf, wenn er von denen im umgekehrten Fall nicht auch gewarnt wird. Auch hier haben wir ein rein funktional bestimmtes Verhalten, während Menschen selbstlos sein können. Sie können geben, ohne etwas dafür zu verlangen, wie Mutter Teresa.

 

Im Übrigen deckt der Begriff des ‘Altruismus‘ bei Weitem nicht alles ab, was wir unter ‘Moral’ verstehen, denn 1) ist er auf face-to-face-Kommunikation eingeschränkt, so dass das, was man beim Menschen ‘Fernstenliebe’ genannt hat, hier nicht vorkommen kann und 2) sind Fragen der Gerechtigkeit keine Fragen des Altruismus, so wenn ich mich z.B. für Frauenemanzipation oder für Menschenrechte einsetze. Man sieht also, die Naturalisierung der Moral greift bei Weitem zu kurz. Eine Naturalisierung der Moral würde auf ihre Abschaffung hinauslaufen. Es gibt natürlich Soziobiologen, die genau das fordern[49], aber was würde eine Gesellschaft ohne Moral von der Mafia oder von einer Diktatur unterscheiden?

 

Die Illusion einer guten Natur 

Natur ist blind und grausam und dennoch schön. Gerade dies erweckt in uns die Sehnsucht nach einer guten Natur. «Zurück zur Natur» forderte Rousseau. Auch die Stoiker verlangten, wir sollten der Natur folgen, dann würden wir richtig leben. Aber hier droht eine Falle, nämlich die Verwechslung der ‘Natur der Dinge’ mit den ‘Dingen der Natur’.

 

‘Die Dinge der Natur’, das sind Spatzen, Steine und Sterne, eben das Vorfindliche. Aber die empirische Natur generiert keine Werte, an denen wir uns ausrichten könnten. Unter der ‘Natur der Dinge’ verstehen wir etwas ganz Anderes, nämlich das Wesen der Dinge. Wir haben also eine Äquivokation im Begriff der ‘Natur’.

 

Die Stoiker waren Pantheisten und grosse Metaphysiker. Also haben sie unterstellt, dass der vorfindlichen Natur ein Wesenhaftes zugrundeliege, das intrinsisch gut sein würde, um dem Menschen Weisung zu geben. Der Natur zu folgen war für sie so viel wie vernünftig sein und im Grunde ist das auch noch bei Thomas von Aquin der Fall.

 

Die Differenz zwischen den Dingen der Natur und der Natur der Dinge ist heute nicht mehr geläufig. Deshalb wird Beides oft verwechselt. Wir sprechen von der ‘Natur’, die uns umgibt und meinen oft eine metaphysisch aufgeladene Natur als Ursprung unserer Handlungsnormen. Diese Verwechslung kann tödlich sein.

 

Um 1900 gab es eine Mode, die unverbrauchte Natur zu suchen und zwar im Stillen Ozean. Friseure und Klempner veräusserten ihren kleinen Laden und verliessen, zusammen mit einigen abenteuerlustigen Frauen Europa, um auf einer unbesiedelten Insel freie Liebe, Friede und das Glück zu finden, ohne Arbeit, ohne Geld. Keine Polizei, keine Gerichte, keine Steuern, keine langweiligen und frustrierenden Ehen. Blumenkinder oder Hippies vor der Zeit.

 

Doch die Realität sah anders aus: Die Natur gab ihre Reichtümer freiwillig nicht her. Anders als die steinzeitlichen Jäger und Sammler wussten die Neoromantiker nicht, was zu essen sei und was nicht oder wie man die richtigen Tiere jagt. Sie fingen an zu hungern und wurden von Tropenkrankheiten geplagt, bis sie völlig verzweifelt und unter sich zerstritten verstarben. Die Nähe zur Natur führt uns nicht zum guten Leben.

 

Ein weiteres Beispiel wäre der Dichter Henry Thoreau. Er baute sich eine Blockhütte im Wald, wo er zwei Jahre einsam lebte, um selig eins zu sein mit der Natur. Man solle Fleisch, Tee und Kaffee meiden, stattdessen Wasser trinken und überhaupt sehr wenig essen. Geschlechtsverkehr sei ohnehin tabu. Auch Musik sei schädlich, ebenso die Arbeitsteilung. Vorbild waren ihm die Jäger und Sammler der Steinzeit. Es genüge, sechs Wochen pro Jahr zu arbeiten, d.h. noch nicht einmal eine Stunde pro Tag.[50]

 

Darüber hat er ein Buch geschrieben, allerdings verschwiegen, dass sich seine Hütte ganz in der Nähe des Elternhauses befand, wo er sich wöchentlich von Muttern die Wäsche waschen liess und sich immer wieder kulinarisch stärkte, bevor er wieder seine Pilze und Beeren sammelte. Nach zwei Jahren brach er das Experiment ab und flüchtete sich zu seinem Freund, dem Dichter Ralph Waldo Emerson. Beide waren davon überzeugt, dass es in der Natur eine spirituelle Kraft gibt, die den Menschen zum Handeln befähigt und die im Falle von Thoreau seine wahnwitzige Aussteigerideologie motivierte, die aber bis heute ihre Anhänger hat. 

 

Die Sehnsucht nach der Natur, als einer Quelle der Weisheit, hört niemals auf. 2022 schrieb Suzanne Simard das Buch «Die Weisheit der Wälder. Auf der Suche nach dem Mutterbaum».[51] Solche Bücher erscheinen ständig. Aber diese Position ist unhaltbar, genauso wie die gegenläufige des letzten Abschnitts, wo-nach der reduktionistische Naturalismus, die Moral zerstört. Hier ist es umgekehrt so, dass eine idealisierte Natur die Moral erdrückt. Wir müssen deshalb noch einmal auf die Unterscheidung zwischen der ‘Natur der Dinge’ und den ‘Dingen der Natur’ zurückkommen.

 

Diese Unterscheidung gab es bei den Stoikern noch nicht, auch nicht wie gesagt, bei Thomas von Aquin. Der Grund war der, dass solche traditionellen Philosophen die moderne Naturwissenschaft noch nicht kannten. Ihre Wissenschaft war eine Lehre von den metaphysischen Wesensformen der Natur und die Vorstellung war, dass sich diese Wesensformen in der Erscheinung ausdrückten. Die Natur der Natur war ihr Wesen und dieses Wesen war durchweg gut.

 

Seit Galilei und Newton konjugieren wir den Naturzusammenhang am Leitfaden der Wirkursächlichkeit, die metaphysisch neutral ist. Damit separieren sich die Dinge der Natur von der Natur der Dinge. Der deutsche Idealismus hat bei Schelling in einer heroischen Anstrengung versucht, beides wieder in Übereinstimmung zu bringen. Man sprach hier von einer ‘natura naturans’ und einer ‘natura naturata’.[52] Aber es war zu spät. Die Gegensätze waren schroff auseinandergetreten und seither haben wir den Widerspruch zwischen Sein und Sollen, Fakt und Wert. Damit müssen wir leben, aller romantischen Einheitsbestrebungen zum Trotz.

 

Natur im Lichte der Moral

Das Verhältnis zwischen Moral und Natur ist ein dialektisches. Will besagen: sie bilden eine Einheit, bei gleichzeitiger Differenz. Wir sind zugleich ein Stück Natur, aber auch der Natur enthoben im Sinn von Plessners «exzentrischer Positionalität». Deshalb muss das Verhältnis zwischen Natur und Moral differenzierter angegangen werden.

 

Man kann, wie erwähnt, das ‘Reich der Gründe’ als transzendentale Möglichkeitsbedingung des ‘Reiches der Ursachen’ ansehen. Will besagen: wenn wir nicht imstande wären, uns im Reich der Gründe zu bewegen, dann gäbe es für uns auch keine Kausalverhältnisse wie in den Naturwissenschaften. So hat das Kant gesehen. Man könnte aber mit ihm noch einen Schritt weiter gehen: Alles Tun des Menschen, auch das Begründen, steht unter Normen. Es gibt für uns keine normenfreie Zone. Alles Handeln ist moralisch zu rechtfertigen.

 

Wir könnten deshalb sagen: längst bevor wir Molekularbiologie oder Verhaltensforschung betreiben, ist für uns Natur nicht etwa Quelle von Normativität, sondern axiologisch, d.h. werthaft, bestimmt. So nimmt es zunächst einmal jeder Mensch wahr: Wir sind nicht von gleichgültigen Naturformen umgeben, die uns nichts angehen. Das ist übrigens der Grund, weshalb so viele Menschen für den Erhalt der Natur auf die Strasse gehen oder weshalb sie gegen die barbarische Massentierhaltung protestieren. In Bezug auf technische Artefakte reagieren wir ganz anders: Wenn ein bestimmter Computer nicht mehr gebaut wird, gehen wir nicht auf die Strasse. Sein ‘Aussterben’ rührt uns in keiner Weise. Der Philosoph und Biologe Christoph Rehmann-Sutter hat den Gedanken einer moralischen Konstitution des Lebendigen seiner Philosophie zugrunde gelegt.[53] Sein Ansatz hat viel mit Phänomenologie zu tun. Der Phänomenologe geht von der Lebenswelt aus, die er ganz ernst nimmt. Die unmittelbare Erfahrung der Phänomene geht allem wissenschaftlichen Herrichten voraus und kann innerhalb seines Referenzrahmens nicht mehr zur Geltung gebracht werden. Das zeigt sich bei denen, die es verhindern wollen.

 

Konrad Lorenz war der Biologe, der erstmals eine evolutionäre Erkenntnistheorie entwickelt hat. Für ihn war menschliches Erkennen eine evolutionär erklärbare Eigenschaft wie andere auch. Was dem Hirsch das Geweih oder dem Wolf das Gebiss, das ist dem Menschen das Erkennen. Dieser Gedanke setzt ersichtlich die Biologie bereits voraus, ist also zirkulär. Jedenfalls anerkennt Lorenz die phänomenologische Konstitution des moralischen Wertes von Tieren nicht, weil er die Phänomenologie sofort überspringt. Gleichwohl täuscht er sich nicht darüber hinweg, dass die Organismen einen intrinsischen Wert haben.

 

Er spricht von einem „irrationalen Wertempfinden“ und meint: „Wer da als Naturforscher um jeden Preis ‚objektiv‘ bleiben und sich dem Zwange des ‚nur‘ Subjektiven um jeden Preis entziehen will, der versuche einmal - natürlich nur im Experiment des Denkens und der Vorstellung – hintereinander eine Salatpflanze, eine Fliege, einen Frosch, ein Meerschweinchen, eine Katze, einen Hund und schliesslich einen Schimpansen vom Leben zum Tode zu befördern.“ Die Morde werden ihm sichtlich immer schwerer fallen.[54]

 

In all seinen Werken besteht Lorenz auf der Realität des intrinsischen Wertes des Lebendigen. Aber als Naturalist kann er diesen Wert in seiner rein kausal definierten Biologie nicht unterbringen und verschiebt ihn deshalb ins Irrationale. Aber das Irrationale ist zugleich das Beliebige. Es ist ex definitione argumentativ nicht einlösbar.

 

Einmal darauf aufmerksam geworden, wird man bei naturalistisch eingestellten Biologen immer wieder solche Inkonsistenzen wahrnehmen. Entweder sie bestreiten rundweg den intrinsischen Wert des Lebendigen oder sie bringen ihn an der falschen Stelle unter, da sie eine phänomenologische Fundierung eines solchen Wertes nicht anerkennen.

 

Richard Dawkins isst gerne Hummer und regt sich darüber auf, dass ihn die Köche lebendig in den Kochtopf werfen. Dies gelte aber nur für sein «nicht-berufliches Leben».[55] Wäre diese Trivialisierung der moralischen Intuition auch gerechtfertigt, wenn wir an die Grausamkeit der Massentierhaltung denken, wo das Lebendige unter Qualen als billiger Fleischproduzent misshandelt wird? Geht es hier auch nur um vernachlässigbare subjektive Intuitionen des «nicht-beruflichen Lebens»?

 

Wie zu Beginn gesagt, stehen Natur und Moral in einem dialektischen Verhältnis, das dem reduktionistischen Monismus widerspricht und das jeweils Eigenständigkeit fordert. Hegel hat diese Dialektik zutreffend so dargestellt: Wenn wir bestimmte Gegensätze haben, wie hier Natur und Moral, so müssen sie verbunden werden, aber nicht eins auf Kosten des Anderen. Ihre Synthese muss die Gegensätze als Gegensätze immer noch enthalten, was er auch «Aufhebung» nennt, im Sinne von ‘Bewahren’. Natur und Moral sind eigenständige Grössen und dennoch innig verbunden. Man fühlt sich an die alte trinitarische Formel erinnert: «Ungetrennt und unvermischt.»

 

Kapitel 7: Die Transzendentalien

 

Kategorien und Transzendentalien

Der Begriff der ‘Transzendentalien’ stammt aus der scholastischen Philosophie, ist aber heute aus der Mode gekommen. Die Transzendentalien sind Begriffe, die alles Kategoriale, Endliche, übersteigen.[56] Sie sind extensional gleichbedeutend mit dem Seinsbegriff, unterscheiden sich aber von diesem intensional, d.h. dem Inhalt nach. Früher hiess es «omne ens unum, verum, pulchrum, bonum, aliquid» usw.

 

Für unsere Zwecke sind interessant das verum, bonum und pulchrum. Die drei Begriffe stehen an der Alten Oper zu Frankfurt und machen einen gipsklassizistischen Eindruck vor allem wenn man bedenkt, dass die Alte Oper aus der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts stammt, eine Zeit der Industrialisierung, des Arbeiterelends, der sozialen Bewegungen, die Zeit von Marx, Nietzsche und den anderen Revolutionären.

 

Das «Gute, Wahre und Schöne» scheint der Vergangenheit anzugehören und so kommt es auch in der heutigen Philosophie nicht mehr vor. Das hängt mit einer empiristischen Grundhaltung zusammen. Wenn wir uns auf das Vorfindliche beschränken, so können wir uns allenfalls überlegen, welches die Allgemeinbegriffe sind, unter die wir das Vorfindliche subsumieren, d.h. wir können nach den Kategorien, als den höchsten Einteilungsprinzipien des Seienden, fragen. In der Analytischen Philosophie besteht die Metaphysik ausschliesslich aus den Kategorien und ihren logischen Relationen. Transzendentalien, die diese Prinzipien übersteigen, kommen dort nicht mehr vor und so fallen sie in der gesamten zeitgenössischen Philosophie praktisch aus. Aber dadurch geht auch etwas verloren. Zu sagen «omne ens verum, bonum, pulchrum» heisst nicht nur, den Blick aufs Ganze zu richten, sondern dieses Ganze auch inhaltlich zu bestimmen.

 

Der Zugang zum Ganzen

Die meisten zeitgenössischen Philosophen bestreiten den Zugang menschlicher Vernunft zum Ganzen, nämlich aus der erwähnten empiristischen Grundhaltung heraus.[57] Es ist aber sehr die Frage, ob das angemessen ist. Der Anthropologe Helmuth Plessner unterscheidet Mensch und Tier dadurch, dass das Tier im Hier und Jetzt gefangen bleibt, während der Mensch über eine «exzentrische Positionalität» verfügt.[58] Das heisst, er hat nicht nur Bewusstsein, sondern weiss, dass er Bewusstsein hat. Auf diese Art transzendiert er alles Vorfindliche und lebt im Horizont des Seins. Im 20. Jahrhundert war Martin Heidegger der Einzige, der das Seinsdenken erneut zur Geltung gebracht hat, wenn auch auf andere Weise als die Scholastiker.[59]

 

Lassen wir diesen Blick aufs Ganze zu, dann stellt sich die weitere Frage, ob das Sein bestimmte Eigenschaften hat (Heidegger würde das bestreiten).[60] Es ist vielleicht sinnvoll, die Transzendentalien Schritt für Schritt durchzugehen:

 

Das Wahre

«Omne ens verum»: darunter kann man Verschiedenes verstehen. Eine starke Deutung würde glauben, dass in allem Seienden eine Idee steckt und dass diese Idee mehr oder weniger deutlich zur Erscheinung kommt. Eine solche starke Deutung hat sich in der natürlichen Sprache erhalten. Wir sagen «Er ist ein wahrer Freund», wenn ein Freund unserer Idee von Freundschaft entspricht. Aber nicht nur im Bereich des Menschlichen sprechen wir so. Wir können ohne Weiteres sagen «Dies ist wahres Gold» im Gegensatz zum sogenannten ‘Katzengold’, nämlich einem Pyritkristall, der aussieht wie Gold, aber leicht als falsches Gold erkennbar ist. Hingegen gibt es Betrüger, die dem echten Gold Anteile von Kupfer oder Silber beimischen, dann wirkt es wie echtes Gold, ist aber kein ‘wahres Gold’, weil es nicht das richtige spezifische Gewicht hat. In all diesen Fällen beziehen wir das Prädikat ‘wahr’ nicht auf Sätze, sondern auf Dinge in der Welt. Wenn eine Situation nicht unseren Vorstellungen entspricht, sagen wir gerne «Das ist nicht das Wahre».

 

In der Scholastik sprach man hier von «ontologischer Wahrheit» im Gegensatz zur «logischen Wahrheit». Logische Wahrheit ist Satzwahrheit, das Einzige, was heute noch anerkannt wird. «Dieser Tisch ist beige» ist wahr, wenn der Tisch beige ist, sonst ist er falsch. Wahr und falsch sind also Wahrheitswerte von Sätzen oder Urteilen. Sie beziehen sich nicht, wie die ontologische Wahrheit, direkt auf die Welt. Es ist aber sehr die Frage, ob wir nicht beide Sorten Wahrheit zulassen sollten. Vielleicht ist die Sprache klüger als die modernen Philosophen, die sich so gerne auf sie berufen.

 

Eine schwächere Deutung des «omne ens verum»-Prinzips würde behaupten, dass es für die Erkennbarkeit des Seienden steht. Das Erkennen ist nach dieser Sichtweise den Dingen nicht äusserlich. Wir erkennen ja nicht einfach nur unser Erkennen, sondern die Sache.

 

Die Sprachphilosophen, die heute dominieren, würden das bestreiten. Nach ihrer Überzeugung ist Sprache den Objekten äusserlich d.h. Sprache, das sind Etiketten, die wir auf die Objekte draufkleben. Der Philosoph Georg Bertram gab neulich ein Buch heraus mit dem Titel «In der Welt der Sprache». Wie immer in solchen Fällen kann man den Genitiv als genitivus objectivus oder als genitivus subjectivus lesen: Entweder ist die Sprache eine Welt oder die Welt eine Sprache. Letzteres wollen die Autoren gerade nicht sagen. Aber warum wählen sie dann einen solchen mehrdeutigen Titel?[61] Ist ihre sprachliche Intuition vielleicht klüger als beabsichtigt?

 

Es gäbe noch viele solche Beobachtungen, die uns nahelegen, dass die Sprache den Dingen nicht äusserlich ist. So z.B. das Werk von Hans Blumenberg «Von der Lesbarkeit der Welt», in dem er dieser Metapher nachgeht.[62] All diese Überlegungen weisen darauf hin, dass das «omne ens verum»-Prinzip nicht einfach nur ‘erledigt’ ist. Nur weil die Welt erkennbar ist, lässt sie sich erkennen. Sie hat also eine idealistische Komponente enthält einen Aspekt an Geist. Das ist selbstverständlich Metaphysik, aber um die Metaphysik ist auch sonst nicht herumzukommen.

 

Das Gute

Das «omne ens bonum»-Prinzip scheint zunächst einmal kontraintuitiv. Wenn alles gut ist, waren dann auch Hitler, Stalin und Mao gut? Aber so oberflächlich ist das Prinzip nicht gemeint. Was gemeint ist, bezieht sich auf das Sein: Sein ist besser als Nichtsein. Es dürfte kein Zufall sein, dass Mephisto, d.h. der Teufel, in Goethes Faust das Gegenteil behauptet: «Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.»

 

Aber so denken wir gewöhnlich nicht, deshalb will niemand sterben, es sei denn, er litte dauerhaft unter unerträglichen Schmerzen. Auch die Tiere und Pflanzen wollen im Sein beharren. Deshalb schreien die Schweine, wenn sie geschlachtet werden sollen und selbst bei den Pflanzen haben die Biologen herausgefunden, dass sie sich wehren, wenn sie angeknabbert werden. Sie erzeugen dann Bitterstoffe und warnen andere Pflanzen durch ganz bestimmte Pheromone (= Botenstoffe) vor den Fressfeinden. Wir könnten dieses Prinzip bis ins Anorganische hinab verfolgen: Die Kernspaltung gelingt nur mit grossem energetischem Aufwand. Es ist, als ob selbst die Atome im Sein beharren wollten. Dem Seienden ist das Sein ein Wert. Es ist besser zu sein, als nicht zu sein. Als einer der wenigen zeitgenössischen Philosophen hat dies Hans Jonas herausgearbeitet.[63]

 

Wir sprechen hier sichtlich nicht von dem, was im letzten Kapitel die «intrinsische Werthaftigkeit des Lebendigen» genannt haben. Diese Werthaftigkeit kommt in Graden, aber das Sein als Existenz kennt keine solchen Abstufungen. Etwas existiert, oder es existiert nicht und mit seiner Existenz ist ein Wert gesetzt, der überall und prinzipiell derselbe ist. Wir haben hier dieselbe Differenz wie die zwischen Kategorien und Transzendentalien. Die gestufte Werthaftigkeit des Organischen gehört in den Bereich des Kategorialen. Hier jedoch sprechen wir vom umfassenden Bereich der Transzendentalien, von Begriffen, die alles betreffen. Zu sein ist besser, als nicht zu sein und dies ist für das Seiende von Wert.

 

Die alte Frage «Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?» könnte man also so beantworten: Weil es gut ist, zu sein.

 

Das Schöne

Das Schöne ist die Schwierigste der Transzendentalien. Dass die Welt erkennbar und in diesem Sinne ‘wahr’ ist, setzen wir ständig voraus. Dass das Sein für uns von Wert ist, beweist unsere Todesfurcht, aber warum sollte das Schöne ontologisches Gewicht haben?

 

Man sagt oft «Das Schöne liegt im Auge des Betrachters». Das würde heissen, das Schöne gibt es im eigentlichen Sinne überhaupt nicht. Es wäre so ähnlich, wie der Geschmack der Speisen erst auf der Zunge entsteht. Niemand würde doch z.B. glauben, dass der spitze Geschmack des Pfeffers auch dann existiert, wenn ihn niemand konsumiert.

 

Die Philosophen haben allerdings über sehr viele Jahrhunderte auf der objektiven Bedeutung des Schönen bestanden. So von Plato bis Hegel und auch in der Renaissance wäre niemand auf die Idee gekommen, das Schöne sei rein subjektiv. Allerdings ist die heutige philosophische Ästhetik sehr häufig dieser Meinung und zwar aus einem öfters erwähnten antimetaphysischen Affekt heraus. Aber was ist dann mit dem Naturschönen? Ist z.B. ein Paradiesvogel nicht wirklich schön, anstatt dass seine Schönheit erst im Auge des Betrachters entsteht?

 

Weil diese Auffassung kontraintuitiv ist, haben die Biologen ein Problem mit dem Naturschönen, denn nach Darwin müssen die Eigenschaften der Lebewesen einen deutlichen evolutionären Mehrwert repräsentieren, sonst würde es sie nicht geben: Der Hirsch hat ein riesiges Geweih, weil das den Weibchen imponiert und seine Rivalen einschüchtert. Ebenso ist Grösse oft von Vorteil: Kein Löwe vergreift sich an einem Elephanten. Der tritt ihn sonst, sodass seine Knochen zerbrechen. In der Evolution hat das zu immer grösseren Dinosaurier geführt, deren grösste 35 Meter lang und 10 Meter hoch waren und über 10 Tonnen wogen. Alles in der Natur hat, so scheint es, seinen Zweck und dieser Zweck bemisst sich an der Tauglichkeit des Überlebens.

 

Aber nach einer wohlbegründeten Auffassung ist Schönheit zweckfrei oder – mit Kant zu reden – selbstzwecklich. Warum gibt es sie dann? Der Biologe Thomas Junker hat sich insbesondere mit solchen Fragen beschäftigt.[64] Seine Lösung klingt ganz einfach: Schönheit nützt zwar direkt nichts, aber sie weist ihren Träger als einen aus, der es sich leisten kann. So z.B. die prachtvollen Schwanzfedern des Pfaus. Anthropomorph gesprochen: die Pfauenweibchen werden sich sagen «Wenn der sich einen solchen Schweif leisten kann und dennoch seinen Fressfeinden entkommt, dann muss er ganz besonders kräftig sein und es lohnt sich, sich mit ihm zu paaren, damit er seine Gene an meine eigenen Nachkommen weitergibt.» Das heisst also: biologisch gesehen ist das Naturschöne mittelbar dennoch Zweck zur Steigerung der fitness. Aber diese Erklärung greift zu kurz, denn um zu zeigen, dass man es sich leisten kann, müsste Natur nicht einfach nur das Schöne produzieren, das Ungewöhnliche würde hinreichen.

 

So gibt es z.B. Nasenaffen, die ausgesprochen hässlich aussehen und deren übergrosse Nasen zu nichts gut sind ausser, um zu demonstrieren, dass man es sich ihr Träger leisten kann.[65] Manche Tiermännchen vollführen in der Balz die merkwürdigsten Sprünge oder man könnte sich Flusspferde vorstellen, die Purzelbäume schlagen oder Elephanten, die einen Handstand machen, wie früher im Zirkus. In der Natur kommt so etwas ebenfalls vor: Manche verliebten Delphine holen einen grossen Stein vom Meeresgrund, schwimmen mit ihm nach oben und werfen ihn hoch in die Luft. Hat überhaupt keinen Sinn, ausser den, zu beeindrucken. Es gibt also unendlich viele Möglichkeiten zu zeigen, dass man sich das Zweckfreie leisten kann. So gesehen müsste das Naturschöne eine ganz seltene Ausnahme sein, während es jetzt eher die Regel ist. Und was ist dann mit den Pflanzen, besonders mit den Blumen? Warum sind sie schön? Wem sollte das imponieren? Oder mit der Schönheit des Anorganischen, z.B. der Schönheit von Kristallen oder Tropfsteinhöhlen? Sie imponieren niemand.

 

Summa: Der Darwinismus kann das Naturschöne nicht erklären. Es ist vielmehr eine emergente Qualität der Natur, die das Fressen und Gefressenwerden transzendiert.

 

Gleichwohl haben wir uns damit ein Problem eingehandelt: während wir Gründe haben zu glauben, dass das Wahre und das Gute universell gültig sind - auch ein Bösewicht wie Adolf Hitler betrachtete seine Existenz als wertvoll -, ist die Universalität des Schönen nicht so klar. Hat Hitler seine Kriege als ‘schön’ empfunden? Schon allein die Frage, ob die Folterknechte in den KZ’s ihr Tun als ‘schön’ empfunden haben, wäre die reine Blasphemie. Als ‘gut’ haben sie sie verstanden, das geht aus ihren Äusserungen hervor. «Omne agens agit propter finem»: Jedes Ziel ist dem Handelnden ein Gut, auch wenn er ein Verbrecher ist. Wir müssten also womöglich das «omne ens pulchrum» einschränken, wobei es dennoch für die Natur gültig sein könnte.

 

Gibt es hässliche Tiere oder hässliche Pflanzen? Sind Maulwürfe und Fledermäuse hässlich oder die Leichenblume oder auch die Meerzwiebel? Doch in all diesen Fällen können wir auch Schönes an diesen Organismen entdecken und selbst die Schlangen sind auf ihre Weise schön, sodass wir die Universalität des Schönen wenigstens für die Natur retten könnten und dass in der Natur jeder jeden frisst, ist zwar nicht schön, aber das ändert nichts an der prinzipiellen Schönheit des Naturseienden.

 

Warum Transzendentalien wichtig sind

Man könnte argumentieren, dass in einer Vorlesung über Naturphilosophie die Transzendentalien bedeutungslos sind, denn sie überspannen alles Seiende, die Natur sowohl als auch die Geschichte und sind genau deshalb für die Naturphilosophie nicht spezifisch. Aber sie sind vielleicht dennoch wichtig für eine solche Philosophie der Natur, denn die Gegenposition des Naturalismus wird, sowohl in seiner harten, als auch in seiner weichen Variante das Inhaltliche der Transzendentalien ausschliessen.

 

Für die harte Variante wird es in der Natur nichts Wahres, Gutes oder Schönes geben, das versteht sich. In seiner weichen Variante werden die entsprechenden Philosophen, wie sich gezeigt hat, eine Dichotomie zwischen dem ‘Reich der Ursachen’ und dem ‘Reich der Gründe’ vertreten. Dann hat der Mensch zugleich an beiden ‘Reichen’ Anteil, aber die Natur ist in dieser Sichtweise, beschränkt auf das ‘Reich der Ursachen’ und damit einem szientifischen Verdinglichungsprozess unterworfen, der alles Qualitative ausschliesst, es sei denn, man würde gegen Habermas eine qualitative Metaphysik der Natur entwickeln. Dann gibt es das Schöne in der Natur, aber eben um den Preis einer Metaphysik.

 

Das heisst in der Summe: ein inhaltlich angereicherter Seinsbegriff entreisst Natur dem Verdinglichungsprozess und ist insofern auch für die Naturphilosophie relevant, nicht nur für die Anthropologie und zeigt einmal mehr, dass man die Lehren der Scholastik nicht einfach ignorieren sollte.

 

Kapitel 8: Theologie

 

Die natürliche Theologie 

Was hat all das Gesagte mit der Theologie zu tun? Wie gesagt, direkt nichts. Insbesondere lässt sich von der Teleologie nicht direkt auf Gott schliessen, weil der Schluss auf den Teufel genauso gerechtfertigt wäre - intelligent, wie er ist. Es wurde deshalb auch gesagt, dass die Teleologie lediglich eine (sehr schwache) notwendige Bedingung für Theologie sei, das heisst, dass zwar die Theologie ohne Teleologie ins Nichts verschwinden würde, ohne sie deshalb zu erzwingen.

 

Gleichwohl gibt es eine Beziehung zwischen den philosophischen Überlegungen dieser Vorlesung und der Theologie. Um dies zu klären, muss an eine alte, kanonisch gewordene, Unterscheidung erinnert werden, die Differenz nämlich zwischen natürlicher Theologie und einer Theologie der Natur. Die natürliche Theologie ist eine rein philosophische Disziplin. Sie fragt danach, ob die Eigenschaften der Welt von sich aus auf Gott verweisen, unabhängig von aller Offenbarung.

 

Kernstück einer natürlichen Theologie waren ursprünglich die sogenannten ‘Gottesbeweise’, also z.B. die quinque viae aus der summa theologica des Thomas von Aquin.[66] Protestantische Theologen lehnen gewöhnlich eine natürliche Theologie ab, weil sie befürchten, dass sie den Glauben überflüssig machen könnte. Es ist nicht leicht zu sehen, weshalb dies der Fall sein sollte. Bei Thomas von Aquin werden keine Inhalte des Glaubens abgeleitet, sondern nur das nackte Dass der Existenz Gottes. Alle Inhalte des Glaubens kommen nach Thomas aus der Offenbarung. Der Glaube wird also dadurch nicht berührt.

 

Hinzu kommt, dass die meisten katholischen Theologen und Philosophen nicht der Meinung sind, dass die traditionellen ‘Gottesbeweise’ von der Art mathematischer Beweise sind, sondern eher der Rechtfertigung des Glaubens für den Glaubenden ausdrücken sollen.[67] Wir müssen darüber also nicht näher handeln. Selbst der sehr konservative katholische Philosoph Robert Spaemann, der einen neuen Gottesbeweis formuliert hat, versieht ihn mit einem sehr reduzierten Geltungsanspruch.[68] Dass die sogenannten ‘Gottesbeweise’ keine Beweise im mathematischen Sinne sein können, ist leicht zu sehen. Wären sie Beweise in diesem Sinn, dann müssten Atheisten entweder dumm oder böse sein oder dumm und böse. Nun sind sie aber häufig weder dumm, noch böse, sondern gut und oft sehr intelligent. Das passt also nicht zusammen.

 

Doch damit ist die Frage nach einer natürlichen Theologie noch nicht beantwortet. Wenn es schon keine formalen Beweise der Existenz Gottes gibt, gibt es dann wenigsten Hinweise? Der bekannte evangelische Theologe Ingolf Dalferth lehnt selbst diese sehr schwache Position ab. Nach ihm verweist für den Nichtgläubigen nichts in dieser Welt auf Gott, für den Gläubigen aber alles.[69]

 

Das ist aus zwei Gründen weit hergeholt: 1) sieht man nach diesem Konzept nicht ein, wie jemand zum Glauben kommen könnte, wenn er gar nicht weiss, wo er suchen muss und 2) ist es kontraintuitv zu meinen, dass für den Glaubenden alles auf Gott verweist. Verweisen die KZ’s der Nazis auf Gott oder Stalin, der 60 Millionen Menschen ermorden liess? Oder verweist der Gesang einer Nachtigall nicht eher auf etwas Göttliches, als der heiser krähende Hahn auf dem Mist, der zudem sehr streng riecht?

 

Wir können also nur die schwächere These akzeptieren, wonach es in dieser Welt Hinweise auf die Existenz Gottes gibt, die aber nicht zwingend sind, im Sinn eines Beweises. Dazu können wir alles zählen, was in dieser Vorlesung an nichtreduktionistischen Eigenschaften des Lebendigen namhaft gemacht wurde, aber vor allem auch die Fälle von starker Emergenz, die sonst unverstanden blieben, denn Emergenz erklärt gar nichts. Sie ist nur ein wohlklingendes Etikett. 

 

Die Theologie der Natur

Dass es nur Hinweise auf die Existenz Gottes gibt, zeigt sich, wenn wir von einer natürlichen Theologie zu einer Theologie der Natur übergehen.

 

Die Theologie fragt unter Voraussetzung des Glaubens, ob denn unser Naturwissen in ihren Referenzrahmen passt. Das ist nicht selbstverständlich. Kann z.B. irgendjemand glauben, dass die vier Milliarden Jahre Evolution nötig waren, um uns hervorzubringen?[70] Wenn wir solche Fragen nicht beantworten können, dann ist der christliche Glaube eine Illusion. Es scheint aber im Gegenteil, dass unser heutiges Naturwissen nicht nur in den christlichen Referenzrahmen passt, sondern sogar sehr gut passt.

 

Nehmen wir die Spezifika des Lebendigen, die in dieser Vorlesung herausgearbeitet wurden: Dass die Natur als ein Lesebuch interpretiert werden kann, dass es in ihr qualitative Sprünge der Innovation gibt, dass sie wertdurchdrungen ist und dass sie Schönheit hervorbringt. Letzteres kann vielleicht am Besten das Verhältnis zwischen einer natürlichen Theologie und einer Theologie der Natur verdeutlichen.

 

Es wurde gesagt, dass von allen Transzendentalien das «omne ens pulchrum» die am meisten problematische ist und das gilt nicht zuletzt in Bezug auf die Natur. Natur ist grausam und blind: Jeder frisst jeden und vor 66 Millionen Jahren schlug ein Asteroid auf der Erde ein und rottete die Dinosaurier aus. Wieso hat die Evolution über drei Milliarden Jahre gearbeitet, um sie hervorzubringen und mit einem Schlag war alles zu Ende?

 

Und doch, wenn wir die Natur in kontemplativer Stimmung betrachten, dann leuchtet sie uns in überwältigender Schönheit entgegen, selbst wenn wir ihre Grausamkeiten kennen.

 

Das heisst: in der Natur, vor allem in der lebendigen Natur, steckt ein Plus, das sich nicht in ihre Grausamkeiten hinein verrechnen lässt und hier wird vielleicht deutlich, was es mit dem Verhältnis zwischen natürlicher Theologie und Theologie der Natur auf sich hat: Für den Ungläubigen ist die Schönheit der Natur ein Grund zum Staunen und er wird vielleicht das Gefühl haben, ‘dass da noch mehr dahinterstecken könnte’. Aber es wird bei diesem Gefühl bleiben, das sich nicht zur Gewissheit verdichten lässt. Das war gemeint mit der Bemerkung, dass wir es hier lediglich mit Hinweisen zu tun haben. Mit einem etwas gewagten Vergleich liesse sich das Gesagte verdeutlichen:

 

Wilhelm Busch hat seine launigen, aber treffenden Bildergeschichten mit der Feder, d.h. in schwarz-weiss gezeichnet. In den neueren Ausgaben werden sie koloriert, auf ganz verschiedene Weise, denn die schwarz-weiss-Zeichnungen legen die entsprechenden Farben nicht fest. Freilich würden wir uns verwundern, wenn im Rahmen einer solchen Kolorierung die Schürze von Witwe Bolte in silbergrau gemalt würde und die Rute von Lehrer Lämpel in violett. Das heisst: diese schwarz-weiss-Bildergeschichten schliessen auch etwas aus, legen aber ansonsten nichts zwingend fest.

 

Nun könnte aber ein Künstler, eine Art ‘Superbusch’ über die besondere Gabe verfügen, sich in diese Bildergeschichten besonders gut hineinzufühlen, so dass seine Art der Kolorierung ein besonderes Gefühl der Stimmigkeit hervorrufen würde. Das wäre eine Art von ‘post-festum-Stimmigkeit’, die niemand erwartet hätte, die man aber hinterher als besonders gelungen beurteilen würde.

 

In diesem Sinn wäre eine natürliche Theologie nicht zwingend aus unserem Naturwissen (sei es empirisch oder metaphysisch) ableitbar, aber eine Theologie der Natur sollte diesem Wissen besondere Strahlkraft verleihen, ohne dass der Skeptiker mit einem etwas anderen Geschmack, davon überzeugt sein müsste. In aestheticis, sowohl als in Fragen des Glaubens, gibt es keine eigentlichen Beweise, aber doch immerhin intuitiv erfassbare Formen der Stimmigkeit, die wir uns nicht ausreden lassen sollten.                                            

 

Literatur

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Fußnoten

[1] Es versteht sich, dass es auch im Neothomismus Versuche gab, ihn zu modernisieren, so z.B. Joseph Maréchals Verbindung von Kant und Thomas oder Karl Rahners Versuch, beide mit dem Heideggerschen Seinsdenken zu kombinieren. Solche Ansätze machten aber keine Schule. Allerdings gibt es immer wieder Versuche, die Neuscholastik gegen Darwin in Stellung zu bringen (Nusser 2018).

[2] „Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme“. (Galilei I, 179-328)

[3] Ich habe anderswo gezeigt, dass unser Weltbezug immer zugleich horizontal und vertikal bestimmt sein sollte: Mutschler 2011

[4] Meixner 2004

[5] Quine 1995, Stegmüller 1983. Manche, wie Gerhard Schurz (2006) führen diese orthodoxe Linie heute noch fort.

[6] Roth 2014, Singer 2002

[7] Engels 1955, Bloch 1985

[8] Habermas 2009, 278

[9] So bei Dennett 1993, 2003

[10] Wilson 1977. Er widerrief seine ursprüngliche These in: Wilson 2013

[11] So z.B. von Keil 1993

[12] Das hat sehr deutlich herausgearbeitet Rüdiger Bubner 1982

[13] Beckermann 1977. Den hier grundgelegten Naturalismus vertritt er bis heute in all seinen Publikationen.

[14] Clayton 2007, Gregersen 2003

[15] Allerdings gab es schon vor Jahrzehnten die gemeinsame Arbeit des Philosophen Robert Spaemann und des Biologen Reinhard Löw, die dieses Problem im Rahmen einer Naturteleologie angegangen sind. (Spaemann/ Löw 1981) Es wird sich zeigen, dass auch Habermas darum nicht herumkommt.

[16] Habermas 2005a, 156/7; 2011, 141; 2019, I 71

[17] Peirce 1991, Whitehead 1987

[18] Mutschler 2014

[19] Gleich auf der ersten Seite seines Buches betont er, dass die Biologie das Problem des Lebens «endgültig» gelöst habe. (Dawkins 1978, 1) 

[20] Losch 2017

[21] Man hat Pilze entdeckt, deren Mycelien unterirdisch zig Quadratkilometer gross sind.

[22] Goodman 1998b, 87. Seine allgemeine Ästhetik: Goodman 1998a

[23] Selbst für die Physik wurde das bestritten von Cartwright 1983

[24] Engels 1982, 244

[25] McLaughlin 2001, 89

[26] Der Philosoph der Biologie spricht ganz bewusst von einer «Disorder of Things» und einer “Disunity of Science». (Dupré 1993)

[27] Dies gilt auch für selbstlernende Maschinen, denn 1. müssen wir auch denen einen Zweck vorgeben und 2. sind auch sie input-output-Maschinen.

[28] Breithaupt 2012, Mutschler 2019

[29] Richard Dawkins entwickelt verschiedene Szenarien, wie wir uns das Entstehen des Lebendigen aus dem Präbiotischen vorstellen könnten, aber er erzählt einfach nur irgendwelche mehr oder weniger plausible Geschichten. Eine Geschichte erklärt aber im naturwissenschaftlichen Sinne nichts, weil sie kein Gesetz enthält. (Dawkins 1987, 182-202)

[30] In Wahrheit ist es nicht so einfach. Es gibt auch andere Kandidaten für Teleologie in der Physik, z.B. die Einfachheit der Grundgleichungen bei maximaler Erklärungskraft oder das sogenannte ‘Anthropische Prinzip’.

[31] Driesch 1922

[32] So z.B. von Kutschera 2004

[33] Nagel 2012

[34] Behe 1996

[35] Solche Fälle könnte es noch mehrere geben. Nicht nur das Entstehen von Leben, sondern auch das von Bewusstsein, Selbstbewusstsein oder Sprache. 

[36] Dawkins 2007

[37] Horkheimer/ Adorno 1969

[38] Der Gedanke mit dem Teufel ist natürlich überspitzt. Hätte er die Welt erschaffen, dann würden wir in der Hölle leben und alles wäre nur noch schlecht.

[39] Gutmann 1989

[40] So nennen sie sich. In Deutschland gehören sie meist zur Giordano Bruno Stiftung.

[41] Kim 1993; 2002

[42] Davidson 1990

[43] Falkenburg 1994, 284

[44] Esfeld 2012

[45] Dupré 1993, 97; 2012, 129

[46] Dupré 2012, 133

[47] Davon gehen inzwischen sogar streng materialistisch denkende Neurowissenschaftler aus wie z.B. Roth/ Strüber 2014.

[48] So schon der Titel von Dawkins 1978

[49] So z.B. Voland 2000

[50] Thoreau 1995, 57; 70; 105; 303/4; 311; 307 

[51] Simard 2022

[52] Kritisch dazu: Mutschler 1990

[53] Rehmann-Sutter 1996

[54] Lorenz 1963, 342; 1983, 61/2

[55] Dawkins 1987, 14

[56] Nicht zu verwechseln mit Kants Begriff des «Transzendentalen», der auf Möglichkeitsbedingungen abhebt und der mit dem gleichnamigen scholastischen nichts zu tun hat.

[57] Der Philosoph Markus Gabriel bestreitet aus empiristischen Gründen den Zugang zum Ganzen: «Warum es die Welt nicht gibt» (Gabriel 2018).

[58] Plessner 1975, 292

[59] Lotz 1967

[60] Wir identifizieren hier ‘Sein’ und ‘Existenz’. In der Scholastik ist das umstritten, aber auch neuere Autoren wie Heidegger und Sartre nehmen diese Identifikation vor. Im Übrigen identifiziert schon der frühe Thomas («de ente et essentia») beide Begriffe. (Thomas 1988)

[61] Bertram 2008

[62] Blumenberg 2018

[63] Jonas 1973

[64] Junker 2006

[65] Diese Nasen verstärken auch das Gebrüll der Affen, aber das ist ein typischer Fall von ‘dual use’, den es auch sonst überall in der Natur gibt.

[66] Thomas von Aquin 1986

[67] Müller 2001

[68] Spaemann 2007

[69] Dalferth 2008, 45

[70] Dazu: Mutschler 2016