Leibniz' Grundfrage: Warum gibt es überhaupt irgendetwas anstatt einfach nur nichts?

Günter Bechly


Der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz nannte die Frage »Warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts?« als DIE Grundfrage der Metaphysik. Andere Philosophen von Friedrich Wilhelm Schelling (»Warum ist nicht nichts, warum ist überhaupt etwas?«) bis Martin Heidegger (»Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?«) sahen dies genauso.

 

Hinsichtlich dieser berühmtesten Frage der Philosophie gibt es nur zwei Möglichkeiten:

1.) Die Frage hat keine Antwort: Dies bedeutet die Existenz von Irgendetwas ist schlicht eine nicht-reduzierbare, unerklärbare Tatsache ("brute fact"). Dies bedeutet jedoch nichts anderes als die irrationale Aufgabe jeglicher Erklärungsversuche, eine Kapitulation der Vernunft. Im Wettbewerb der konkurrierenden Hypothesen zur besten Erklärung, kann eine Ablehnung jeglicher Erklärung gegen keine der Alternativen geltend machen die bessere Erklärung zu sein.

2.) Die Frage hat eine Antwort: Da jegliche kontingente Letztbegründung unvermeidlich wieder auf einer unerklärbaren Tatsache basieren würde, müssen alle positiven Antworten etwas notwendig Existierendes voraussetzen, also einen Urgrund für die Existenz von Irgendetwas, dessen Nicht-Existenz logisch oder metaphysisch unmöglich ist.

 

Um den Schluss auf eine notwendig existierende Erstursache zu vermeiden wurden zwei Auswege von Philosophen vorgeschlagen: Quentin Smith meinte, dass ein unendlicher Regress kontingenter Erklärungen völlig ausreichend sei, da jede Erklärung wiederrum eine Erklärung habe und daher auch die Gesamtheit aller Erklärungen keiner weiteren Erklärung bedürfe. Hierbei unterliegt er jedoch einem logischen Fehlschluss, der als 'Trugschluss der Komposition' bezeichnet wird. Auch wenn jede der Einzelursachen jeweils eine Erklärung besitzt, so ist damit keinewegs erklärt, warum es überhaupt diese unendliche Folge von Ursachen und Wirkungen gibt anstatt von Nichts. Bede Rundle (2004) versuchte in seinem Buch "Why there is Something rather than Nothing" das Problem anders zu lösen und postulierte, dass die Tatsache der Existenz von irgendetwas Kontingentem notwendig sei, obwohl nichts konkret Kontingentes notwendig existiere. Rundles Argumentation basiert ausschließlich auf seiner Behauptung, dass die Annahme von Nichts nicht sinnvoll sei, denn wann und wo würde dieses Nichts dann existieren. Hierbei unterliegt Rundle dem Fehlschluss der Reifikation, da er das Nichts, das lediglich ein Name für die Abwesenheit von Allem ist, behandelt als wäre es ein Seiendes. Rundles Unfähigkeit sich das Nichts vorzustellen ist jedoch nicht mehr als eben diese persönliche Unfähigkeit. Angesichts des Scheiterns aller möglicher Auswege, verbleibt nur die Erklärung mittels eines notwendig existierenden Urgrundes.

 

Dieser notwendig existierenden Urgrund kann nur entweder geistiger oder nicht-geistiger Natur sein und entweder transzendenter oder immanenter Natur sein. Folglich gibt es nur folgende vier mögliche Erklärungen

  1. Der Urgrund ist geistiger Natur und transzendent: Ein notwendig existierender und transzendenter Geist als Erstursache ist äquivalent mit Theismus.
  2. Der Urgrund ist geistiger Natur und immanent: Ein notwendig existierender Geist der das Universum nur immanent beseelt wäre starker Panentheismus, könnte aber die Existenz des physischen Universums selbst nicht erklären. Folglich müsste die Immanenz darin liegen, dass das Universum selbst in diesem Geist enthalten ist. Dies ist äquivalent mit einem monistischen Objektivem Idealismus.
  3. Der Urgrund ist nicht-geistiger Natur und transzendent: Ein notwendig existierender, nicht-geistiger, zeitloser und immaterieller (da transzendenter) Urgrund könnte nur ein platonisches Reich abstrakter Gegenstände sein. Diese Alternative ist also äquivalent mit einem Platonismus oder Neo-Platonismus. Da dieses platonische Ideenreich jedoch nicht-geistiger Natur sei, kann es keine kontingenten Entscheidungen treffen, dass bestimmte mögliche Welten nicht existierenden sollen. Daher folgst zwangsläufig die Existenz aller möglichen Welten, also eines modalen Realismus. Die einzige mögliche Ausnahme wäre die Annahme eines axiarchischen Prinzips, wie es von dem kanadischen Philosophen John Leslie formuliert wurde, nachdem wegen der platonischen Form des Guten nur die Welten existieren, deren Existenz besser ist als deren Nicht-Existenz.
  4. Der Urgrund ist nicht-geistiger Natur und immanent: Dies bedeutet, dass das Universum (oder Multiversum) selbst notwendig existiert. Da es keinen Grund gibt, warum eine materielle Welt existieren muss anstatt nicht zu existieren, bleibt nur die von Max Tegmark aufgezeigte Möglichkeit, dass das was notwendig existiert die Welt der Mathematik ist und die physikalische Realität durch die Mathematik nicht nur beschrieben wird, sondern mit dieser identisch ist. Es handelt sich also um einen mathematischen Monismus im Sinne einer phytagoreischen Form eines Ontischen Strukturrealismus. Selbst wenn man jedoch die Möglichkeit einer notwendigen Existenz einer materiellen Welt zugestehen würde, gäbe es ohne die freie Entscheidung eines Gottes, keinen Grund warum bestimmte mögliche Welten existieren und andere nicht. Folglich wäre ein modaler Realismus (sensu David Lewis) eines unendlichen Multiversums aller denkbaren Welten auch die einzige Option für den Naturalismus oder Materialismus.

Alle Hypothesen, die ohne ein beschränktenden Prinzip, wie etwa die freie Willensentscheidung eines Bewusstseins oder ein axiarchisches Prinzip des Gutes auskommen, haben mit dem Problem des modalen Realismus zu kämpfen. Dieser ist nicht nur extrem wenig wünschenswert, da er quasi eine Potenzierung von Nietzsches Ewiger Wiederkehr darstellt, indem alle denkbaren Scheußlichkeiten und Leiden aufs Unendliche realisiert sind, sondern er ist auch empirisch widerlegt. In einer Welt, in der alles was möglich ist auch existiert, gleich wie seltsam und unwahrscheinlich, existiert alles sogar unendlich oft und zwar mit der gleichen Kardinalität von Unendlichkeit. Dies bedeutet, dass es keinerlei Unterscheidungsmöglichkeit mehr gibt zwischen wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Ereignissen. Auch das Prinzip der Selbstlokalisation im Multiversum bietet keine Lösung, da die Wahrscheinlichkeit sich in einem Freak-Universum genauso groß ist wie die eines regelmäßigen Universums. Dies untergräbt nicht nur die essentielle stellung der Wahrscheinlichkeit in der Quantenphysik, sondern widerspricht auch eklatant unseren regelmäßigen Beobachtungen. Das bekannte Problem der Inflation der Boltzmann-Gehirne in der modernen Kosmologie ist lediglich eine Variante dieses allgemeinen Problems eines infiniten Multiversums mit modalem Realismus.

 

Hinzu kommen weitere fatale Schwächen der beiden nicht-geistigen Optionen:

Ein transzendentes platonisches Ideenreich kann keine zutreffende Erklärung für die Existenz der physikalischen Welt sein, denn abstrakte Gegenstände (einschließlich eines axiarchischen Prinzips) sind definitionsgemäß bar jeglicher kausalen Effektivität und können daher auch kein Universum ins Dasein rufen. Hinzu kommt, dass abstrakte Gegenstände eigentlich nur als Konzepte im Geist eines bewussten Wesens existieren und sich somit Option 3 letztlich auf die Optionen 1 (Theismus) oder Option 2 (Idealismus) reduzieren lässt.

 

Der mathematische Monismus Tegmarks scheitert auf der anderern Seite an den Grenzen der Mathematik. Mathematische Strukturen können nur dann als existierend postuliert werden wenn sie zumindest selbstkonsistent sind. Gödels Unvollständigkeitssatz setzt dem eine Grenze. Dies ist auch Tegmark bewusst, weswegen er seine Hypothese des Mathematischen Universums abschwächte und nun nur noch die Existenz gödel-vollständiger und berechenbarer Strukturen postuliert (Computable Universe Hypothesis = CUH). Damit umgeht er zwar Gödels Unvollständigkeitsproblem, aber er kann nun nicht mehr plausibel machen, dass nur diese willkürliche Teilmenge aller möglichen Mathematik notwendig existiert. Zudem verletzten fast alle erfolgreichen Theorien der Physik die mathematischen Postulate von Tegmarks CUH.

 

Es kann generell festgestellt werden, dass keine naturalistische Erklärung vereinbar mit Gödels Unvollständigkeitssatz sein kann. Die Natur bedingt einen  außer-weltlichen Lokus der Gesetze, wie die Kosmologin und theoretische Physikerin Laura Mersini-Houghton (2015) in ihrem Artikel "The Multiverse, the Initial Conditions, the Laws and, Mathematics" aufzeigt.

 

Somit bleiben nur zwei Alternativen übrig: Theismus und objekiver Idealismus. Der Naturalismus hingegen kann die Grundfrage, warum es irgendetwas gibt anstatt von nichts, nicht erklären.